„Alles steht in Flammen“


Maria Turiks Kunstwerke bewegen sich zwischen Performance, Installation und Intervention. Oft stehen sie in enger Verbindung zu dem Ort, an dem sie stattfinden oder entstehen. „Trisektrix“, ihr Beitrag für das Performing Arts Festival Berlin 2020, war im „Epizentrum der Gentrifizierung“ geplant, dort, wo sich im Landwehrkanal Kreuzberg, Neukölln und Treptow treffen. Auf drei Flößen hätte eine Mischung aus Installation, Musik und Tanz das Publikum dazu aufgefordert, die Wasserflächen der Stadt neu zu denken. Beim PAF@home sind die Grundgedanken des Projekts nun als Video im Digital Showroom zu betrachten. Ein Gespräch mit Maria Turik über Gentrifizierung, Utopien und die politische Funktion von Kunst.

von Cora Lou Gercke

In deinem Projekt fürs PAF geht es um Gentrifizierung. Gab es dafür ein Schlüsselerlebnis?

Ein Schlüsselerlebnis gab es nicht, sondern eher unzählige alltägliche Erfahrungen. Zum Beispiel, dass man keine Wohnung mehr findet. Diese Aussichtslosigkeit bei der Wohnungssuche ist mir und vielen Leuten in meinem Umfeld leider sehr gut bekannt. Worum es mir aber in „Trisektrix“ vor allem geht, ist das Verschwinden des öffentlichen Raumes und seine Vereinnahmung durch kommerzielle Projekte, Inverstoren etc. Und, dass deshalb für die Kunst und Kreativität und natürlich auch für die Selbstbestimmung im städtischen Raum immer weniger Platz da ist. Aber auch schöne Erlebnisse waren für mich ausschlaggebend, so zum Beispiel die Erkundung Berlins auf dem Wasser, die ich erlebt hab, als ich Teil eines Floßkollektivs geworden bin.

Wie hat sich „Trisektrix“ durch die Corona-Maßnahmen verändert?

Da man momentan nicht mehr als 50 Zuschauer*innen haben darf und das am Dreiländereck kaum machbar ist, wurde das Projekt, so wie es ursprünglich geplant war, abgesagt. Ich habe stattdessen ein Video gedreht, das auf der Idee und bestimmten Elementen dieser Performance basiert. Das wird dann im Digital Showroom von PAF@home zu sehen sein.

Gibt es ein bestimmtes Projekt, das du auf Berliner Gewässern gerne realisiert sehen würdest?

Es gibt da auf jeden Fall ein großes Potenzial für kulturelle Veranstaltungen. Ich glaube, man denkt schnell an spektakuläre Wassershows mit Lichtern in der Nacht. Aber es gibt so wunderbare Kunst, vor allem Performancekunst, die auf schwimmenden Bühnen passieren könnte. Man kann so viele ästhetische Sachen auf dem Wasser machen, für alle zugänglich.

Um noch mal auf die Gentrifizierung zurückzukommen: In welchem Bezirk wohnst du?

Ich habe bis März am Kottbusser Tor in Kreuzberg gewohnt. Dann bin ich nach Mitte gezogen.

Dann hast du die Gentrifizierung wahrscheinlich deutlich mitbekommen…

In Mitte ist sie schon weitgehend vorbei. Die Phase, in der es wehtut, wo wirklich etwas verloren geht, die ist in Kreuzberg grade auf dem Höhepunkt. Alles steht in Flammen.

Mal ganz utopisch gefragt: Wie stellst du dir ein ideales Berlin vor?

Orte würden in Ruhe gelassen werden. Flecken Land, auf denen man etwas bauen könnte, würden einfach mal so bleiben, Da muss auch kein hübscher Park draus gemacht werden oder so. Es dürfte leeren Raum geben. Und natürlich wäre nicht Geld die treibende Kraft, wie das jetzt der Fall ist. Es sollte Sachen für die Menschen und Gemeinschaften geben, die da schon wohnen. Natürlich würden neue Menschen dazukommen, aber eben auf natürliche Art und Weise. Es sollte auch keinen „Einreisestopp“ für wohlhabende Menschen geben, die für einen Kaffee drei Mal so viel zahlen würden wie der Rest. Aber es sollte einfach nicht mehr diese Dominanz geben. Unterschiedliche Lebensstile und Lebensgefühle hätten gleichermaßen den Raum und die Freiheit, sich zu entfalten und sich dabei nicht gefährdet zu fühlen.

Glaubst du, dass die Corona-Krise in Bezug auf die Gentrifizierung auch positive Auswirkungen haben könnte? Der Immobilienboom scheint ja erst mal gestoppt zu sein.

Mir fehlt da das Fachwissen. Aber mein Gefühl ist ehrlich gesagt nicht so gut. Bei fast allen, die gerade um ihre Existenz bangen, geht es um die Mieten. Man hat Angst, rausgeschmissen zu werden, nicht fähig zu sein, die Miete zu zahlen… Das betrifft Gewerbe, Privatpersonen, Theater usw. Und ich sehe nicht, dass die Immobilienfirmen irgendwas abgeben müssen. Die haben ihre Profite nach wie vor, der wurde auch nicht begrenzt. Ich habe leider keine großen Hoffnungen, dass sich da was zum Positiven verändert.

Ist deine Kunst immer so politisch?

Ich habe zwar schon öfter explizit politische Kunst gemacht, aber die dokumentiere ich nicht extra und die kommt auch nicht auf meine Website. Das ist dann eher im Rahmen von Protestaktionen oder so. Bei dem, was man so auf meiner Website sieht und womit ich mich positioniere, findet die Auseinandersetzung mit solchen Themen eher auf philosophischer Ebene statt, nicht so sehr an der Oberfläche.

Sollte sich Kunst generell mit politischen Inhalten auseinandersetzen?

Kunst insgesamt, ja. Man kann natürlich den einzelnen Künstler*innen nicht vorschreiben, dass sie jetzt politische Kunst machen müssen. Aber wenn es niemand tut, ist es seltsam. Wenn man die Kraft hat, Sachen auszudrücken, auf eine andere Weise als zum Beispiel Journalist*innen, dann sollte man diese Kraft auch nutzen, um die Situation zu beeinflussen.

Hat sich in der Krise die Art geändert, wie du Kunst machst?

Ich spüre schon sehr deutlich diese Dringlichkeit, doch mehr in die politische Richtung zu gehen, stärker und eindeutiger Stellung zu beziehen. Die Luft wird zwar dünner, aber es gibt auch eine Klarheit, in der sich Ungerechtigkeiten und Wahnsinn deutlicher zeigen. Dadurch habe ich das starke Bedürfnis, das durch die künstlerischen Mittel zu kommunizieren, die ich nutze.

Was vor allem?

Was ich richtig erschreckend finde: In den Medien, selbst in denen, deren Professionalität man nicht anzweifelt, dreht sich alles nur noch um Europa und Nordamerika. Der Rest der Welt wird ausgeblendet! Einerseits spricht man darüber, dass es so viel Solidarität gibt – das ist ja auch total schön, dass Leute in meinem Kiez füreinander einkaufen gehen. Aber auf der globalen Ebene trennt es sich wie vielleicht nie zuvor. Man muss wieder wahrnehmen, dass es den Rest der Welt gibt. Es ist zwar nichts Neues, aber, dass die Welt wieder als Ganzes wahrgenommen wird, ist für mich gerade der relevanteste Punkt.