Das kam völlig aus dem Nichts!


Bridge Markland hat sich mit ihren kontroversen Auftritten als Verwandlungskünstlerin einen Namen in der freien Szene gemacht und gilt als Pionierin der Gender- und Dragperfomance in Deutschland. Im Interview spricht sie über Rollenwechsel, Puppen und darüber, wie man dem Publikum überraschend nahe kommt.

von Paula Kreuzer

Bridge, wenn du dich heute, genau jetzt in etwas verwandeln könntest, was oder wer wäre das?

Ich würde gerade nichts anderes sein wollen. Aber ich würde gerne viel Geld haben, damit ich mir keine Sorgen machen muss (lacht). Damit würde ich Kunst machen und gemütlich leben, so wie ich Bock habe. Von mir aus auch ohne Anträge schreiben oder Projektförderung, das fände ich sowieso für alle gut in Berlin und in der ganzen Welt. Es müsste Kulturfonds geben, bei denen man sagt, was für ein Projekt man machen will und auch nur das Geld nimmt, was man braucht. Fertig.

Du giltst als DIE Verwandlungskünstlerin. Auf der Bühne wirst du zu mehreren Personen an einem Abend. Spielst mit Klischees, brichst diese aber auch, indem du sie aufgreifst und bewusst dekonstruierst. Woher kommt die Passion für Verwandlung?

Vielleicht liegt es daran, dass ich Berlinerin bin und sich die Stadt so arg verwandelt hat in den letzten Jahrzehnten. Als die Mauer fiel, gab es plötzlich zwei Hälften, in denen wir uns tierisch ausprobieren konnten. Vielleicht liegt es auch an meinem Vater und seinen vielen Identitäten. Er war jüdischer Abstammung und durfte das unter den Nazis gar nicht sagen, sonst wären schlimme Sachen passiert.

Und das ist nie rausgekommen?

Nein. Gegen Kriegsende ist er sogar noch in die Armee eingezogen worden, und die haben nicht mitbekommen, dass er eine jüdische Mutter hat. In der englischen Kriegsgefangenschaft hat er seinen Namen geändert, ist Engländer geworden und hat sich eine neue Identität gegeben. In seinem Leben war das also auch schon so vorgegeben und das habe ich als Kind sehr mitbekommen. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass ich im Februar geboren bin, zur Faschingszeit. Diese Lust an der Verkleidung war immer ein Teil von mir und das ist dann auch mein Beruf geworden.

Ist die Verwandlung nur Teil deiner künstlerischen Arbeit? Oder nimmst du auch im Privaten unterschiedliche Rollen ein?

Früher habe ich das oft im Alltag gemacht. Auch wenn ich tanzen gegangen bin. Oder als Straßenexperiment: Ich hab mich verkleidet, bin in verschiedene Rollen geschlüpft und dann in unterschiedliche Stadtteile gefahren. Das habe ich auch in New York gemacht, Anfang der 90er, wo die Bewohner*innen der einzelnen Viertel noch viel homogener waren. Ich habe also bestimmte Outfits gewählt, die in ein Viertel reinpassten und geschaut, was passiert. In Berlin gab es Anfang der 90er Partys, die in Zehlendorf stattfanden. Da habe ich mich immer total aufgedonnert, als Frau im schicken Kleid mit langen Haaren, alles Perücke, und bin da hin, um auszuprobieren, wie die Leute auf mich reagieren. Daraus entstand dann meine eine Verwandlungsperformance „Die schönste Frau der Welt“.

Mit der roten Perücke!

Genau. Die nehme ich dann auch ab. Das habe ich auf der Party auch gemacht. Dazu gibt es auch eine Lecture Performance, in der ich erzähle, wie diese Nummer entstanden ist, wie ich diese ganzen Tests gemacht habe. Die habe ich vor zwei Jahren auf dem PAF gespielt. Aber ich kann ja nicht jedes Jahr dasselbe machen. Außerdem ist dieses Jahr sowieso alles anders.

Genau, dieses Jahr bist du mit Pension Schöller beim PAF 2020 dabei – im Livestream, wegen der Pandemievorschriften. Wie denkst du, wird sich das auf deine Performance auswirken?

Ich habe vor zwei oder drei Wochen schonmal einen Livestream gemacht. Ich hatte ziemlich viel Publikum und die Leute haben viel gespendet, weil ja alle wissen, dass es Künstler*innen nicht so gut geht im Moment. Damit habe ich wesentlich mehr Geld eingenommen, als ich mit der Liveshow verdient hätte. Dabei habe ich gemerkt, dass es gut funktioniert, nur für Kameras zu spielen. Komplett ohne Zuschauer*innen spiele ich ja nicht, die Kameraleute sind auch noch da. Das Tolle an diesen Streams ist, dass du Leute aus ganz Deutschland und aus anderen Ländern dabei haben kannst. Beim letzten Stream haben Menschen in ganz Deutschland zugeguckt. Das würde ich nie mit einer Show in Berlin so haben.

Wird sich die jetzige Situation auf die Zukunft auswirken?

Man kann wirklich überlegen, ob das auch funktioniert, wenn Corona vorbei ist, also dass man Streams macht für die Leute, die es nicht nach Berlin schaffen oder die an Orten wohnen, wo es überhaupt keine Spielstätten gibt. Auch andere Kollege*innen streamen gerade, weil du damit Grenzen überschreitest. Diese Limitierung – ohne Live-Publikum spielen, allein vor der Kamera – ergibt eben auch wieder neue Möglichkeiten und neue Formen. Ich finde das gerade ziemlich spannend.

Du stehst ja prinzipiell alleine auf der Bühne. Ohne Menschen, dafür mit Puppen. Warum?

Das hat sich in den 90ern entwickelt. 1995 habe ich mir diese Pappbox für eine Kurzperformance machen lassen. Damals stand ich ziemlich viel Akt. Das wollte ich in eine Performance umwandeln. In der Box stand ich nackt drin und habe meine Körperteile vorne durch die Öffnung gezeigt. Danach habe ich mit der Box weiter gearbeitet und mehrere Biografien reingesteckt: Anita Berber, Valeska Gert, Josef Stalin. Biografie-Ausschnitte habe ich mit Popsongs collagiert. Als mich 2005 jemand fragte, ob ich was über Schiller machen würde, dachte ich: Steck ich den Schiller in die Box und erzähle so seine Biografie. Das war so erfolgreich, dass plötzlich auch Lehrer*innen und Bildungsbürger*innen kamen.

Und daraus sind dann all die Klassiker in der Box geworden?

Genau. Ich habe dann „Faust“, „Der zerbrochene Krug“, „Die Räuber“, „Leonce und Lena“, „Die Ratten“ in die Box gesetzt, stark gekürzt und mit Popsongs gewürzt. Das Neuste ist jetzt „Pension Schöller“. Kein Werk des Bildungsbürgerkanons, aber ein Boulevardkomödien-Klassiker von 1890. Ich wollte mal was sehr lustiges machen, so eine richtige Hau-Drauf-Komödie. Als Ein-Frau-Show und Gender-Performance gab's das bestimmt noch nicht.

Was bieten dir die Puppen, das dir ein*e Mitspieler*in nicht bieten kann?

Bei den Box-Projekten und den Biografien gab es immer Gegenspieler*innen. Entweder man verwandelt sich selbst in sie. Oder man arbeitet mit Requisiten und Puppen. Irgendwann habe ich angefangen, mit Puppendesignerinnen zu arbeiten, die mir dann extra die Puppen gebaut haben. Gerade macht das Eva Garland, eine ganz tolle englische Puppen- und Kostümdesignerin.

Hättest du gerne mal menschliche Gegenspieler*innen?

Deswegen arbeite ich auch mit anderen Kompanien. Es ist toll, hin und wieder aus seiner eigenen Kiste rauszukommen und Mitspieler*innen zu haben. Im Moment arbeite ich zum Beispiel mit Nils Foerster von der Brotfabrik, der auch die Co-Regie bei "Pension Schöller" macht. Er hat mich jetzt als Performerin für ein Projekt angefragt. Davor habe ich viele Jahre lang mit dem Platypus Theater zusammengearbeitet, auch mit Tanzkompanien. Aber meine eigenen Sachen bleiben Soloperformances. Das ist mein Ding, das will ich auch gar nicht ändern.

Du durchbrichst oft die vierte Wand und kommst den Zuschauer*innen extrem nah. Was ist der Reiz daran?

Die Zuschauer*innen sind in dem Moment meine Gegenspieler*innen. Wenn ich ins Publikum gehe, wissen die Leute nicht, was passiert. Als ich Anfang der 90er mit meinen Solos angefangen habe, habe ich die Leute noch auf die Bühne geholt und mit ihnen performative Aktionen gemacht. Aber es ist viel überraschender, wenn ich ins Publikum gehe, weil das wirklich die Überschreitung einer Grenze ist.

Gab es eine Zuschauer*inreaktion, die dir besonders gut in Erinnerung geblieben ist?

In den 90ern hat mir mal ein junges Mädchen eine Ohrfeige gegeben, weil ich an ihren Freund rangegangen bin. Das kam völlig aus dem Nichts! Außerdem wollten mich mal zwei Studentinnen wegen sexueller Belästigung verklagen.

Was ist denn da passiert?

Vor zwei Jahren habe ich an der Uni in Braunschweig meine Lecture Performance gehalten. Die Studentinnen fanden, ich hätte ihre persönliche Grenze überschritten. Dafür sollte ich mich entschuldigen. Aber ich habe ganz deutlich gesagt, dass ich mich nie für meine künstlerische Arbeit entschuldigen würde. Das irre war, dass die beiden Studentinnen während der Performance in ihr Handy versunken waren, da am liebsten reinkriechen wollten.

Die Generation digital natives...

Genau. Das wirft ja auch ein ganz interessantes Bild darauf, dass wir soviel online sind und mit dem Liveaspekt gar nicht mehr so gut umgehen können. Wenn ich jetzt die Lecture Performance halte, erzähle ich immer davon. Der Uni ist das natürlich peinlich! Die Student*innen sind dann alle total schockiert, dass sowas heutzutage immer noch passieren kann, mit ganz jungen Leuten. Verrückt! Aber das löst immer tolle Diskussionen aus.

Hast du als Künstlerin manchmal mit Zweifeln gegenüber Deiner Arbeit zu kämpfen?

Man hat immer wieder Zweifel, will alles wegschmeißen und aufhören, das ist normal, jedenfalls in der Kultur und Kunst. Oft steckt man schon mitten in einem Projekt drin ist, hat schon was erarbeitet und denkt: Ist das jetzt gut genug? Wenn ich in Phasen bin, in denen ich nicht so viel Geld verdiene, denke ich auch immer: „Wozu mache ich das hier überhaupt? Keiner versteht, was ich da eigentlich tue.“ Manchmal ist es so schlimm, dass ich denke, ich muss mir jetzt einen anderen Job suchen. Vor solchen Phasen ist man nicht geschützt. Aber bislang ich bin ja trotzdem immer dabei geblieben.