„Den Theaterdiscounter wird es geben“
Gemeinsam mit dem Landesverband freie darstellende Künste Berlin e. V. (LAFT), dem HAU Hebbel am Ufer, den Sophiensælen und dem Ballhaus Ost veranstaltet der Theaterdiscounter das Performing Arts Festival Berlin. Ein Gespräch mit Michael Müller, künstlerischer Leiter, über Kunst in der Krise und schwindende Kulturräume.
von Justin Peterson
Der Theaterdiscounter ist – wie alle Theater in Berlin – gerade geschlossen. Passiert hinter den Kulissen trotzdem noch etwas?
Ja, wir planen weiter in die Zukunft. Wir gehen davon aus, dass es im Herbst irgendeine Form von Spielbetrieb geben wird. Wir hoffen, dass sich die Situation soweit entspannt, dass man in kleinen Räumen wie unserem wieder unter gewissen Bedingungen vor Publikum spielen kann. Zurzeit finden auch Proben statt – natürlich unter Einhaltung der Hygienevorschriften.
Während draußen Verschwörungstheoretiker auf die Straße gehen und damit einen Raum beanspruchen, der sonst oft von der freien Szene reklamiert wird, scheint Theater gerade vor allem im Netz stattzufinden. Hat Kunst, hat Theater der Coronakrise überhaupt was entgegenzusetzen?
Mit dem „Entgegensetzen“ fremdle ich. Ich frage mich eher: Was kann die Rolle von Kunst und Theater für uns sein, während das stattfindet? Gegen das Virus kann Theater nichts machen – das ist klar. Ansonsten sehe ich die Rolle von Kunst – wie sonst auch – als eine Form von Auseinandersetzung und Reflektion über Dinge, die in der Gesellschaft stattfinden.
Was kann man denn jetzt machen, während der Live-Moment verhindert ist?
Sicher gibt es das ein oder andere kluge Format online. Wir sind auch bereit, uns mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Allerdings glaube ich nicht, dass Digitalisierung eine Zukunftsperspektive von Theater ist.
Sondern?
Eine weitere Ausdrucksmöglichkeit. Möglicherweise. Da würde mich aber mehr interessieren, was uns digitale Ausdrucksmöglichkeiten für den Live-Moment bringen als die Frage, wie man Theater in Zukunft streamen kann. Das Hauptding ist für mich die Begegnung und nicht, etwas zu bewältigen. Theater und Kunst sind integraler Bestandteil unserer Gesellschaft. Es geht nicht darum, ungeachtet aktueller Hindernisse einfach weiterzumachen, sondern sich dazu zu verhalten.
Wie?
Zuerst vielleicht, indem wir den Auseinandersetzungsraum wieder erweitern. Zum Beispiel habe ich das Gefühl, mein Alltag fokussiert sich seit Corona eher auf eine Krisenlektüre von Medien als zuvor. Trotzdem glaube ich nicht, dass sich die Funktionsweise von Kunst und Theater durch Corona verändert hat. Kunst kann sich natürlich kurzfristig auf die Krise beziehen, was ich als Chance der darstellenden Künste betrachte. Ich fände es aber viel interessanter, die aufkommenden Fragen zu thematisieren als Corona an sich.
Welche Fragen zum Beispiel?
Wieso organisieren sich Staaten wieder zunehmend nationalistisch? Wie erleben wir die Beschränkung individuell und in Bezug auf Gemeinschaft? Aber auch welche Solidaritätssysteme brauchen wir?
Auf der Website des Theaterdiscounters heißt es: „Realität anders sichtbar machen ist eines unserer wichtigsten Ziele.“ Was bedeutet das für die aktuelle Situation?
Theater bezieht sich auf die Welt. Im klassischen Sinne indem es die Welt „abbildet“. Mit „anders sichtbar machen“ gemeint ist stets eine Verschiebung beziehungsweise die subjektive Sicht auf die Welt, durch die wir Menschen zum Perspektivwechsel anregen möchten. Wir möchten keine Berichte über Fakten erstatten, sondern Themen auch anders als im Alltag kommunizieren.
Habt Ihr Zukunftsvisionen über die Auseinandersetzung mit der Krise?
Die Krise triggert viele Punkte, die vorher virulent waren, beleuchtet Dinge jedoch anders als zuvor – Fragen des kapitalistischen Systems, Klimakrise, Produktionsdruck und gesellschaftliche Gerechtigkeit, nicht nur lokal, sondern weltweit. Es passieren Dinge, die unvorstellbar waren, wie zum Beispiel die Einstellung des Flugverkehrs. Können wir jetzt nicht alle verstehen, dass die Welt auch anders funktionieren kann? Darin besteht die Chance gewisse Veränderungen in die Zukunft zu überführen.
Was kann die Kunst jetzt damit machen?
Ich wehre mich ein wenig gegen den Gedanken, dass die Kunst gerade etwas abzuliefern hat, was diese Krise bewältigen soll. Ihr sollte vielmehr ermöglicht werden weiter zu existieren. Wichtig ist, die Räume zu wahren. Dann kann etwas entstehen, was nicht funktional ist.
Wie meinst du das?
Eine künftige Gefahr wird sein, dass alles funktional sein muss, wie die Krisenintervention in Form von Pandemiebeschränkungen. Die Steuerschätzungen kommen, also muss man in nächster Zeit überall sparen. Das tritt als „zwingende Logik“ auf. Und da kann die Kunst ansetzen, indem sie sagt, es gibt nicht nur das Zwingende, sondern auch das Mögliche, das Schöne, das Interessante und das Unerwartete.
Apropos Räume wahren: Zu der ganzen Misere kommt nun noch, dass dem Theaterdiscounter überraschend die Räume in der Klosterstraße 44 gekündigt wurden. Warum ist das überhaupt so kurzfristig möglich?
Wir sind Zwischenmieter in dem Gebäude. Das war uns immer bewusst. Dabei geht man das Risiko eines Gewerbevertrags ein. Man kann sich schlechter gegen die Kündigung wehren, da diese Verträge weniger Regulierungen unterworfen sind als bei normalen Wohnmietverträgen. Leider sind viele Theater und Künstler*inenn der freien Szene auf Räume angewiesen, die sich in Privatbesitz befinden. Dass das in Hinblick auf Konsequenzen wie wir sie derzeit erfahren höchst problematisch ist, thematisiert die freie Szene auch seit Jahren.
Raum wird immer knapper. Wird die Kunst jetzt in Peripherie gedrängt?
Das findet tatsächlich so statt, ja. Gleichzeitig erkennt das die Stadt Berlin. Es gilt gegen die Raumknappheit, Kultur zu ermöglichen, indem man bestehende Räume sichert und Neue schafft.
Wie?
Im Kulturbereich fängt man an darüber nachzudenken, Kulturräume durch Ankäufe zu sichern. Es braucht aber z.B. auch Kulturraumquoten in allen kommunalen Neubauprojekten.
Wie geht es nun mit dem Theaterdiscounter weiter?
Die Stadt signalisiert uns Interesse, uns in Mitte zu halten. Langfristig wird es darum gehen, eine ganz neue räumliche Lösung für den Theaterdiscounter zu finden. Der für Kultur vorgesehene Bereich Molkenmarkt gibt uns Hoffnung, jedoch kann man davon ausgehen, dass diese Räume erst 2025/2026 gebaut sind. Am meisten besorgt uns die Übergangszeit.
Kann man euch momentan helfen?
Wir freuen uns über die vielen Solidaritätsbekundungen. Das gibt uns Kraft und hilft uns moralisch weiter. Ganz konkret kann man zurzeit von außen nicht viel tun, da zunächst noch weitere Gespräche anstehen. Neuigkeiten gibt es auf unserer Website und in unserem Newsletter.
Was passiert nun mit eurem Spielplan?
Das kommt darauf an, wie sich die Raumsituation entwickelt. Erstbeste Variante wäre eine Verlängerung am Standort. Zweitbeste Variante ein mittelfristiger Ausweichstandort, und drittbeste Variante eine Art Nomadendasein. Wir wollen alle geplanten Produktionen gerne zeigen und wir glauben, dass es uns gelingen wird. Nach 17 Jahren Theaterdiscounter ist uns weiterhin wichtig, für die freie Szene eine Ankerinstitution zu bleiben. Deshalb hoffen wir zunächst auf ein Zugeständnis der Investoren in der Klosterstrasse 44 und setzen langfristig auf eine Lösung im Gebiet Molkenmarkt, um der freien Szene diesen Spielort zentral und präsent zu erhalten.