“Der Kopf ist ja Teil des Körpers.”
bücking&kröger erforschen im Tanz die Grenzen des Körpers und Geistes. Ihr neues Stück “no secret, no room” ist beim PAF-Festival im Video-Format erschienen. Ein Gespräch mit Florian Bücking, Raisa Kröger und Johanna Withelm über geheime Räume, interessante Zeiten und isolierte Körper.
von Maria Vitanova
Ihr habt Euch schon 2018 in “coming out of a secret room” mit “dem Menschen als Übenden” auseinandergesetzt. Inwiefern ist “no secret, no room” eine Fortsetzung dieses Prozesses?
R: Für mich ist “no secret, no room” aus “coming out of a secret room” geboren. Bei “coming out of a secret room” ging es um abgeschlossene Räume, die manchen Menschen nicht zugänglich sind, weil sie zum Beispiel eine bestimmte Religionsgruppe betreffen. Davon ausgehend sind wir zu fiktiven Praktiken gekommen. Unser Bewegungsmaterial hatte sowas wie eine Praktik, die man eigentlich nirgendwo findet. Wir haben uns überlegt: Was macht das mit dem Menschen, wenn er wieder und wieder das Gleiche macht, wenn er versucht etwas zu perfektionieren? Und wie kann man diese Praktik ins Zentrum stellen? Das SOX ist ein Schaufenster genau an der Straße, es bleibt überhaupt kein Geheimnis dabei.
Was bleibt stattdessen?
R: Das Spannende ist ja dieses Monastische, die völlige Vereinzelung. Das was in den secret rooms schon seit Jahrhunderten stattfindet. Und jetzt gibt es die totale Vereinzelung der Gesellschaft. Wir leben die Einsiedelei, ohne dafür eine Praktik entwickelt zu haben. Eigentlich hätten wir gerne “no secret, no room” vor Corona gezeigt, dann hätten die Leute alle die fiktive Praktik für ihre jeweilige Einsiedelei nutzen können.
Was hat sich mit der Isolation verändert?
F: Der Fokus hat sich verschoben. Unsere Wohnung ist relativ groß und fühlt sich trotzdem jeden Tag ein Stück kleiner an. Dieser Raum ist total in Vordergrund gerückt. Wir haben das Gefühl, die Welt wird kleiner. Auf der anderen Seite wird sie durch technische Mittel wieder größer und diese Gegensätzlichkeit wurde im Video sehr deutlich. Diesen engen Raum zu sehen, der öffentlich ist, aber trotzdem nicht so öffentlich sein darf, fand ich super interessant.
R: Man könnte sagen, jetzt ist die perfekte Zeit zu überlegen: Was macht der Übende in seiner Einsamkeit? Aber es ist ja ein Duett. Bei uns beleuchten zwei Menschen die Vereinzelung, zwei Menschen werden eins, oder eine Person wird zwei, und das ist eigentlich der Kern. Wenn ich mir das Video angucke, da steckt doch ganz viel von der Arbeit, aber ganz anders realisiert. Man will es mit Körpern erleben, echt und live, aber es ist jetzt das Video und das ist auch gut.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt beim Übenden und beim Ziel seiner Übung, das häufig ein spirituelles ist. Wie stehen Spiritualität und Kunst zueinander?
R: Für mich ist Kunst gar nicht spirituell. Aber es gibt die Annahme, dass was der Körper tut, ein Effekt auf den Geist hat. Yoga zum Beispiel kommt aus Asien, wurde europäisiert und damit auch so etwas wie "Turnen".
J: Wir haben oft in unseren Arbeiten einen recht pragmatischen Ansatz. Wir nehmen zum Beispiel bestimmte kulturelle Phänomene und recherchieren das in Bewegung: Was sind das für körperliche Zustände, die man erreichen kann, und wie sind sie verbunden mit einer Bewegungsqualität und wiederum mit einer Wahrnehmung, wenn man sich das anschaut? Aber da interessiert uns konkret die körperliche Praxis daran und wie wir das für unsere künstlerische Praxis fruchtbar machen können.
Florian, stimmst Du zu?
F: Ich würde zumindest einem kleinen Teil widersprechen. Ich glaube, dass die Verbindung zwischen Spiritualität und Kunst enger ist, als wir vielleicht erstmal meinen. Und zwar insofern, dass wir als Tänzer uns in Probensituationen soweit auf Dinge einlassen müssen und vor allem einlassen wollen, dass die Handlung in Proben was Spirituelles oder zumindest was Ähnliches hat. Also wir merken schon, dass da mehr ist als nur "Turnen". Wir würden uns jetzt nicht in Kreuzberg auf die Straße stellen und uns als hochspirituelle Menschen betiteln. Aber im Grunde ist es eine ernsthafte Auseinandersetzung und auf keinen Fall ein Herabschauen auf die Spiritualität, weil wir diese selber auch für Momente erleben.
Johanna, als Dramaturgin stehst Du nicht mit auf der Bühne. Was gibt Dir dieses “Turnen”?
J: Für mich ist Tanz etwas was ich mir aus ganz vielen verschiedenen Perspektiven anschaue. Ich bin in dieser Konstellation bei b&k die Verbindung zur Theorie und zum Publikum. Raisa und Florian arbeiten schon sehr lange und auch sehr eng zusammen und da ist etwas Symbiotisches in der Zusammenarbeit. Es ist für viele erst mal nicht so einfach, da so rein zu gucken. Da komme ich in die Proben und stelle ein bisschen nervige Fragen.
Was für Fragen?
J: Meistens bin ich wie ein Spiegel. Ich gucke von außen drauf: Jetzt entstehen die und die Bilder, die und die Fragen. Ist das so gemeint von euch? Wolltet ihr das? Oder war das eher zufällig etwas, was gar nicht beabsichtigt war?
Eure Stücke stellen auch viele Fragen. Findet ihr auch Antworten, oder ist das Forschen das Ziel
R: Für mich ist es das Erforschen. Dass man den Kopf anders bewertet als den Körper, ist geschichtlich und religiös geprägt, und da bin ich total dagegen. Der Kopf ist ja Teil des Körpers. Wir erforschen welcher Teil der Kopf vom Körper ist. Wie kann ich das ganz anatomisch erarbeiten, ohne ebenso einen religiösen Aspekt zu haben?
F: Ich glaube, es geht darum, mehr Fragen zu bekommen. Man kann durch die Proben eventuell einen klitzekleinen Teil beantworten. Aber durch diese Antwort entstehen etliche neue Fragen. Das heißt, der Kosmos der Fragen wird immer größer und in Relation dazu werden die Antworten immer kleiner. Mit jeder Antwort, die man bekommt, weiß man eigentlich weniger. Man lernt vor allem mehr über sich selbst, wird aber unsicherer mit allem, was die Außenwelt betrifft, weil es immer mehr Fragen aufwirft.
Stoßt ihr dabei an Grenzen?
F: Manchmal stoßen wir insofern an Grenzen, als dass Raisa und ich in Probensituationen etwas weiter verfolgen bis wir nicht mehr genau wissen, wen das interessieren soll außer uns. Das vergleiche ich manchmal mit einem Trip, der für diesen, der den Trip hat, sehr interessant ist, aber für den, der daneben steht vielleicht gar nicht. Wir produzieren nicht für das Publikum, aber eben auch nicht nur für uns. Manchmal ist es uns bewusst, dass wir in einem Teil des Stückes ein paar Leute verlieren. Aber uns ist es so wichtig, das so zu machen, dass wir das durchziehen. Aber wenn wir das jedes Mal machen, dann sitzen wir am Ende alleine im Theater.
Und du, Raisa?
R: Meine Grenze ist mein Körper, aber ich versuche, sie permanent zu erweitern, indem ich physischen Kontakt aufnehme. Ich versuche den Zuschauern klarzumachen: Man kann da mehr sehen, so starr ist die Grenze nicht. Wie kann ich trotzdem Grenzen im Kopf öffnen? Das ist mein Anspruch an Kunst.
Ihr wollt demnächst Euer Stück “Hyperbodies” von 2019 wiederaufnehmen. Wenn die zwei Meter Abstand auch für die Bühne gelten, müsste man da auch Grenzen erweitern.
F: Im Kern wird das sicherlich weiter das Thema der Arbeit sein. Es ist auch spannend, weil wir weniger streng mit uns selber sind. Unter den aktuellen Bedingungen können wir “Hyperbodies” nicht wieder aufnehmen. Normalerweise würden wir sagen: Moment, wir müssen das so erzählen, wie es geplant war. Aber das müssen wir nicht. Vielleicht erzählen wir etwas anderes. Und das ist auch nicht weniger wert. Ich finde das sehr befreiend.
R: Man muss sich da ein bisschen locker machen. Ich kann nicht einfach eine Covid19-Version nach der Anderen raushauen. Wir überlegen gerade erst theoretisch: Was interessiert uns daran? Und wenn ich finde, was mich daran interessiert, dieses Stück in ein Distanzstück umzuwandeln, wenn man da ein Link findet, dann bin ich vollkommen frei.
Hinter bücking&kröger stehen die beiden Tänzerchoreograf*innen Florian Bücking und Raisa Kröger und die Dramaturgin und Produktionsleiterin Johanna Withelm. Seit 2014 setzen sie sich mit Tanz im weitesten Sinne auseinander, indem sie sich mittels Körper, Kontakt und Bewegung einer Forschung widmen, die weit über dem Körper hinausgeht. In ihren Arbeiten, darunter “coming out of a secret room” (2018) und “no secret no room” (2020), die für das PAF-Festival konzipiert wurden, geht es im Wesentlichen um Grenzen und deren Erweiterung.