„Der Tod ist keine Erfolgsgeschichte“


Der Titel ihrer Arbeit, mit der copy & waste beim PAF 2020 dabei sind, klingt wie der Soundtrack zur Corona-Krise: „It’s just a phase, baby!“ Ein Gespräch mit copy & waste-Mitbegründer Steffen Klewar über globale Katastrophenszenarien, kollektives Arbeiten und Kunst als Selbstzweck.

von Mia Emilia Löwener

In „It’s just a phase, baby!“ setzt ihr euch mit Katastrophenszenarien auseinander. Jetzt ist Corona. Seid ihr Hellseher?

Es ist erstaunlich, dass die Phrase „It’s just a phase, baby!“ gerade jetzt gesellschaftliches Mantra sein könnte, das man sich jeden Tag sagt. Durchhalten, sich beruhigen – das fällt derzeit aus den unterschiedlichsten Gründen immer schwerer. Die Inszenierung selbst liest sich jetzt natürlich nochmal anders. Es mag im Nachhinein so wirken, als wären ein paar Dinge vorausgegriffen.

Inwiefern?

Zum Beispiel die ersten 20 Minuten, in denen der Schauspieler Hannes Schumacher sich bis zur völligen Erschöpfung verausgabt und die Leinwand das immer wieder als das 1. Kapitel des Abends: betitelt: „Prepper“. Oder auch die unterschiedlichen Zustände, die er durchläuft, während er – genau wie das Publikum – eine ganze Flut der medialen Informationen zur Krise reproduziert, neu erfährt und stetig bewertet. Im Stück ist das aber natürlich noch die Klimakrise und nicht Corona.

Wusstet ihr, dass eine Krise kommen würde?

Von wissen kann man keinesfalls reden. Mit dem, was man weiß und mit dem, was man nicht weiß, sollte man sich eh zurückhalten. Furchtbar an der aktuellen Krise ist ja lokal gesehen unter anderem, dass Deutschland nicht mehr das Land der Millionen Fußballtrainer-Expert*innen ist, sondern das Land der vermeintlich besten Virolog*innen und Epidemiolog*innen. Die schlimmsten Auswirkungen sind aber abseits der Bundesgrenzen zu beobachten. Global betrachtet, denke ich, dass nicht so viel Gutes aus der Krise entstehen wird.

Wir haben im globalen Vergleich großes Glück…

Gerade wird uns erneut sehr bewusst, in einem der privilegiertesten Flecken der Welt zu leben. Diese Kombination aus vergleichsweise hoher Sicherheit und Freiheit für extrem viele Menschen, wenn auch keinesfalls für alle – bei allen Ungerechtigkeiten, die es auch hier gibt – ist außerordentliches Privileg.

Hast du ein Beispiel?

In Deutschland diskutieren wir unter anderem darüber, wie wir freischaffende Künstler*innen wirtschaftlich retten können. Das ist aus vielerlei Gründen absolut richtig. Wir bemühen uns da auch aktiv in Netzwerken und als Teil von Verbänden. Aber: Das ist eine Diskussion, die entbehrt in den meisten Flecken der Welt jeder Grundlage. Diese privilegierte Position, solche Debatten führen zu können, sollten wir uns als darstellende Künstler*innen bewusst machen.

Wie seht ihr die aktuelle deutsche Politik?

Kulturpolitisch heißt es gerade in vielen Verbänden, dass z.B. in Fördersystemen sichtbar wird, was vorher schon im Argen lag. Welt- und sozialpolitisch glauben wir, dass jetzt gerade sichtbar wird, wer vorher schon im Sterben lag. Wir wollen uns daher auch in naher Zukunft – jetzt noch mehr befeuert durch das, was die Corona-Krise verdeutlicht – mit dem Tod, dem Sterben auseinandersetzen. Was ist der Tod in der säkularisierten Gesellschaft, in der sich viele Individuen in Ihrer Hybris unsterblich, unersetzlich, wähnen? Wieso haben wir kaum öffentliche Rituale zu Trauer und Verlustbewältigung? Der Tod ist keine Erfolgsgeschichte – was also machen wir, wo wir auf der Sonnenseite des globalen Kapitalismus leben, damit?

Gibt es zwischen „It’s just a phase, baby!“ und der aktuellen Situation Parallelen?

In dieser Arbeit wird die Debatte über Glauben und Unglauben an die Auswirkungen der Krise nicht zwischen Vertreter*innen von Hygienedemos, Presse und Kanzleramt geführt, sondern in einer einzigen Figur, die vom Schauspieler Hannes Schumacher verkörpert wird. Er vereint die verschiedenen Stimmen zur Klimakrise in sich. Dabei fungiert Hannes nicht als Repräsentant irgendeiner Klasse, einer sozialen Schicht oder menschlichen Gruppierung, auch nicht einer Einzelmeinung. Vielmehr eröffnet er uns einen Raum innerhalb eines Diskursfeldes, zu dem sich alle Zuschauenden verhalten können, weil wir uns alle in diesem Feld bewegen – oder medial von ihm in Bewegung versetzt werden.

Welches Diskursfeld ist das?

Wir wollten mit dem eigenen Unvermögen arbeiten, zwischen – als Beispiel – meiner Beziehungskrise und der Klimakrise zu unterscheiden. Eigentlich haben wir mit dem Titel angefangen. Denn ehrlich gesagt kann ich das Verhältnis, das ich, um am Beispiel zu bleiben, zu meiner kriselnden Beziehung habe, gar nicht von meinem Verhältnis zur Klimakrise unterscheiden. Im Unterschied zu Menschen wie Donald Trump oder Attila Hildmann tun wir nicht so, als ob wir diese Themenkomplexe auseinanderhalten könnten. Im Gegenteil kommen immer mehr Inhalte und Gefühle dazu, die alle mit der Klimakrise zu tun zu haben scheinen. Und das überfordert natürlich.

Welche Mittel setzt ihr dafür ein?

Statt der Verschwörungstheorien der Genannten nutzen wir die Auseinandersetzung mit ganz vielen intelligenten Stimmen – darunter antike Dichter, Wissenschaftler*innen genauso wie diverse Journalist*innen und Philosoph*innen. Wir bedienen uns eigentlich überall, das ist das Prinzip: copy & waste. Manchmal bestätigen diese Stimmen und Gedanken, was man selbst denkt; manchmal sagen sie auch das Gegenteil. Das wird im Laufe des Abends ausgehandelt.

Wie macht ihr das genau?

Wir haben uns beispielsweise mit Hölderlins Empedokles auseinandergesetzt. Das ist gedanklich eigentlich unser Peak des Abends. In unserer Lesart kann man den Selbstmord des Empedokles dann so verstehen, dass er angesichts der Klimakrise sagt: „So ich sehe jetzt, was ich, der Mensch, angerichtet habe. Wie ich den Planeten, die Natur, die Erde über unglaublich lange Zeit und in immer größerem Ausmaß ausgebeutet und verachtet habe. Und jetzt gehe ich ab, mache dadurch wieder etwas gut – auch für mich selbst.“ Hannes Schumacher sitzt dafür im Publikum und alle nehmen sich – vorausgesetzt die Vorstellung gelingt - an den Händen und er fordert sie eigentlich auf, mit ihm von der Bildfläche zu verschwinden.

Im ersten Teil des Abends nutzt ihr den Schöpfungsmythos von Prometheus …

Für uns ist dabei der Moment zentral, an dem der Gott den Menschen das Feuer gibt und damit der moderne Mensch entsteht – der Mensch, der sich gegenüber den anderen Lebewesen überlegen macht – die Urheberschaft der Zivilisation. In unserer Fassung haben wir den Mythos so zusammengestrichen, dass Prometheus dann nicht Zeus, sondern die im Raum anwesenden Menschen anklagt.

Warum?

Es geht um das Gefühl der ungerechten Behandlung und Undankbarkeit.

Wie hängt das mit globalen Katastrophen zusammen?

Die Welt, so wie wir sie konstruiert haben, basiert auf dem Gedanken: „Wir sind die Größten.“ Das ist in diesem Prometheus-Mythos angelegt. Und dann überbietet jede Generation nochmal die vorherige – mehr Raubbau am Planeten für noch mehr. Und aus dem Problem kommen wir auch global nicht mehr so leicht raus. Diese Hybris verhandeln wir.

Und weiter?

Wir haben uns gefragt, wie stark unser Verständnis von der Klimakrise – und was wir jetzt auch in dieser Corona-Krise erleben – durchs Fiktionale geprägt ist. Ist das nicht ein Problem, mit dem wir die ganze Zeit konfrontiert sind? Wir haben durch die ganzen Katastrophenfilme bereits fertige Bilder davon. Wir können die reale Klimakrise gar nicht von diesen fiktiven Katastrophen unterscheiden.

Habt ihr eine Lösung für dieses Problem gefunden?

Nein. Ich sehe auch nicht, dass ich die erfinden müsste. Wir arbeiten uns an der Ununterscheidbarkeit von Phänomenen und Problemen ab und schauen nach künstlerischen Ansätzen, um damit umzugehen. Gibt es einen Zusammenhang, dass wir in Zeiten der untergehenden Demokratien auf Texte zurückgreifen, die aus einer Zeit kommen, als die Demokratie erdacht wurde? Womöglich. All solche Fragen, die sich erstmal auftun, können in unserer Arbeit als Gedanken in den Raum einfließen, den wir am Ende szenisch umsetzen.

Können solche Räume auch im Digitalen eröffnet werden?

Die Krise als Chance sehen – das hat im Theater eine gewisse Tradition. Derzeit geht es uns aber zu schnell, als dass wir dazu bereits eine Position finden könnten, schon gar keine neue.

Wie geht es dir dann damit, Teil der "PAF Doku-Serie" zu sein?

copy & waste hat einen kleinen Beitrag dazu geleistet und das Herausforderndste ist wahrscheinlich, dass man mit der Weitergabe des Materials auch sehr viel von der künstlerischen Autonomie an die Regie abgibt. Wir kennen das Ergebnis noch nicht.

Wie würdest du deine individuelle künstlerische Autonomie definieren?

Ich bin Überzeugungstäter. Ich versuche also, nur Dinge in der Kunst zu machen, die ich auch machen möchte.

Warst Du schon Überzeugungstäter, als du 2007 copy & waste mitgegründet hast?

Ich habe damals an der UdK in Berlin Schauspiel studiert und langsam gemerkt, dass ich vielleicht doch nicht als Schauspieler im Stadttheatersystem arbeiten möchten, weil ich mich damals zu sehr als Erfüllungsgehilfe gefühlt habe – und zu wenig selbstbeauftragt. Mich haben schnell andere Arbeitszusammenhänge interessiert.

Wie arbeitet ihr heute bei copy & waste?

Wir bezeichnen uns oft selbst lieber als Band denn als Kollektiv. Der Vergleich passt ganz gut, jede*r spielt sein Instrument. Mal schreibt die eine Person einen Song und sagt dann auch, wie er zu spielen ist – und beim nächsten Mal eine andere Person. Wir verhalten uns dabei auch additiv zueinander, reden einander zunächst nicht rein. Ich würde zum Beispiel Silke Bauer niemals sagen, wie sie etwas in ihrem Bereich lösen soll, weil ich nicht einmal   fünf Prozent verstehe von dem, was sie kann.

Wer seid ihr genau?

In der künstlerischen Leitung von copy & waste sind zurzeit Roman Hagenbrock, Silke Bauer und ich. Silke Bauer ist Bühnenbildnerin, Roman Hagenbrock ist Videokünstler. Daneben gibt es einen großen Kreis weiterer Künstler*innen, die die Arbeiten aktiv prägen.

Womit setzt ihr euch in euren Arbeiten auseinander?

Lange Jahre war es vornehmlich unsere Praxis, mit performativen Mitteln urbane Machtstrukturen zu untersuchen. Durch einen oft sehr spezifischen Zugriff lassen sich allgemeinere, auch globale Phänomene ablesen. Beim Abend „Kampf Klub Ost“ ging es zum Beispiel um die gegenwärtigen und kommenden Zurückbleibenden am Beispiel der Verlust erfahrenden Bewohner in einem sich gentrifizierenden Leipziger Stadtteil.

Leistest du einen Beitrag, um globale Probleme zu überwinden?

Naja, die Frage mit „ja“ zu beantworten, fände ich jetzt wohlfeil. Ich bin mir sicher, dass ich kein weniger egozentrisches oder egoistisches Wesen als meine Mitmenschen bin. Gleichzeitig ist mir aber Solidarität schon sehr wichtig.

Inwiefern?

Für mich setzt Solidarität voraus, das eigene Verhalten zu reflektieren, die eigenen Privilegien zu checken und dann, dies nach Möglichkeit berücksichtigend, schon auch nicht davor zurückzuschrecken, immer wieder Position zu lokalen wie globalen Missständen zu beziehen und nach ihnen zu handeln.

Auch in der Kunst?

Auch in der Kunst! Ein künstlerischer Beitrag zu gesellschaftlichen Debatten besteht für uns darin, einen Diskursraum aufzumachen, also einen wirklichen Raum, ein Theater zu öffnen. Die Diskurse abseits vom Journalismus, abseits der Wissenschaft, abseits der Stammtische auch in der Kunst zu führen, halte ich für relevant. Es geht dann aber immer auch darum bei uns, die Positionen der Anderen – wer auch immer die sind – mit einfließen zu lassen. So. Nichtsdestotrotz kann und darf und soll die Kunst aber auch Selbstzweck sein. Sie wird jetzt nicht automatisch aufgewertet, weil sie ein gesellschaftlich gerade wichtiges Thema hat. Da bin ich ebenso von überzeugt. Denn wenn das der Fall ist, dann braucht es eigentlich auch keine Kunst mehr zu sein. Das mag nun widersprüchlich klingen, nach dem, was ich bisher gesagt habe – das müssen wir beide aber in der Kürze dieses Interviews vielleicht einfach aushalten.