Es braucht viel mehr Geld für Kunst
Das Ballhaus Ost veranstaltet in diesem Jahr zum fünften Mal gemeinsam mit dem Landesverband freie darstellende Künste Berlin e. V. (LAFT), HAU Hebbel am Ufer, den Sophiensælen und dem Theaterdiscounter das Performing Arts Festival Berlin. Ein Gespräch mit Anne Brammen vom Ballhaus-Team über Telegram-Theater, Streams und die Freie Szene in Zeiten der Corona-Pandemie
von Paula Kalisch
Die Theater sind seit zwei Monaten geschlossen. Wie geht ihr am Ballhaus Ost damit um?
Für das Publikum machen wir vereinzelt Online-Geschichten – ohne Anspruch auf Kontinuität. Wenn einzelne Künstler*innen und Gruppen Lust haben, was zu machen, dann machen wir das gemeinsam. Wir haben uns dagegen entschieden Aufzeichnungen zu streamen. Damit probieren wir auch eine Diversität an Formaten aus. Die Projektreihe, die wir online machen, nennen wir Shutdown Specials. Da gab es zum Beispiel ein Theaterstück von vorschlag:hammer "Twin Speaks", die haben das auf dem Messenger Telegram aufgeführt. Im Chat verschicken die Figuren Text- und Sprachnachrichten und Videobotschaften. Da haben ungefähr 300 Leute zugeschaut und im Pausenchat ist wirklich eine Gemeinschaft entstanden. Ganz anders funktionierte Oliver Zahns "Lob des Vergessens, Teil 2" in Form eines Zoom-Webinars.
Und intern?
Hinter den Kulissen beschäftigen wir uns die ganze Zeit damit, wie unser Programm weitergehen kann. Wir gehen davon aus, dass wir im Herbst das Programm zeigen, das wir ursprünglich geplant hatten. Auch wenn wir noch nicht wissen, unter welchen Bedingungen das dann möglich sein wird. Werden alle Beteiligten anreisen können? Können die Proben- und Produktionsprozesse stattfinden? Wir sind dazu mit allen Künstler*innen in Kontakt. Natürlich wollen wir die Produktionen, die jetzt ausfallen mussten, so schnell wie möglich stattfinden lassen. Allerdings müssen wir auch aufpassen, dass wir nicht alles überfrachten. Es sollen ja auch neue Projekte stattfinden. Das erhöht die Konkurrenz: Welche Künstler*innen kriegen die Spieltermine? Wir tun uns deshalb sehr schwer damit neue Sachen festzuzurren, die wir bisher noch nicht geplant hatten, sowohl für den Herbst, als auch für das neue Jahr.
Weißt du denn, was freie Künstler*innen jetzt so machen? Planen sie eher digitale Projekte oder Open-Air-Projekte mit Abstand?
Das ist tatsächlich sehr unterschiedlich. Ich mache als Dramaturgin selbst Projekte und habe erkannt: Ich bin keine Medienkünstlerin. Es gibt aber andere Künstler*innen, die gerne Sachen im Internet oder im öffentlichen Raum ausprobieren. Für die Produktionen, die wir im Herbst geplant hatten, ist das noch nicht vorgesehen. Zumal es für uns als kleines Theater mit wenigen Mitarbeiter*innen schwierig ist, Produktionen außerhalb unseres Theaterraumes zu betreuen. Wenn Gruppen an externen Spielstätten oder im öffentlichen Raum was machen wollen, müssen die das ziemlich autark organisieren.
Sind Streams und besondere Formate also auch eine Geldfrage?
Unbedingt! Wenn man gutes Internet-Theater machen will, dann braucht man zum Beispiel Webdesigner*innen. Man kann natürlich auch einfach was auf YouTube streamen, aber man sollte schon Leute haben, die dieses Medium mitdenken. Die Gruppen, die bei uns arbeiten sind oft Kollektive, die alles aus ihrem eigenen Kreis heraus machen und die haben selten jemanden mit dieser Expertise dabei. Andere Gruppen, die viel Förderung haben, können viel eher Leute mit so einer Expertise dazu holen.
Können Formate über Telegram oder Zoom auch nach Corona weitergeführt werden, zusätzlich zu Live Performances und Theater?
Auf jeden Fall! Man muss aber vom Publikum ausgehen. Ich kann mir vorstellen, wenn die Theater wieder aufmachen dürfen und ich die Wahl habe zwischen Live-Theater, wo ich Menschen treffe und mit denen hinterher noch ein Bier trinke und Telegram-Theater von zu Hause aus, werden viele zum Live-Theater gehen. Viele Gruppen denken jetzt zweigleisig, entwickeln eine komplette Online-Version und eine Version, die Reales und Virtuelles vereint. Das Tolle am Internet ist ja die Reichweite: Auch Leute, die nicht in der gleichen Stadt sind, die gar nicht rausgehen können oder die aufgrund der verschiedensten Barrieren nicht ins Theater gehen, können dabei sein.
Findet also durch die Digitalisierung der Theaterszene eine gewisse Demokratisierung statt?
Ja. Gleichzeitig werden aber auch Leute ausgeschlossen, weil sie nicht online sind oder skeptisch gegenüber Plattformen wie Zoom sind. Zugleich wächst die Aufmerksamkeitskonkurrenz.
Ist es ein Problem fürs Ballhaus Ost, dass die meisten Streams kostenlos sind?
Unsere finanzielle Situation am Ballhaus ist sehr gut, weil wir seit diesem Jahr die Konzeptionsförderung vom Senat erhalten. Die Jobs hier im Haus und die Miete sind dadurch gesichert. Das Theater existiert weiter, auch wenn wir grade nichts aufführen. Aber es gibt natürlich sehr viele andere Orte, die nicht so gefördert sind, Privat-Theater und kleinere Orte, die ein bisschen unter dem Förder-Radar liegen. Die sind natürlich abhängig von ihren Einnahmen. Wenn man jetzt die ganze Zeit demokratisches, barrierefreies Internet-Theater macht, stellt das auch wieder Fragen an die Struktur. Ich bin sehr dafür, dass Kunst kostenlos ist. Aber dafür muss sich an vielen strukturellen Punkten etwas ändern. Es braucht einfach viel mehr Geld für Kunst.
Warum habt ihr euch dagegen entschieden, Aufzeichnungen zu streamen?
Weil wir persönlich das langweilig finden. Aber auch weil wir von den Produktionen aus unserem Programm selten richtig gute Aufzeichnungen haben. Viele Gruppen, die bei uns arbeiten sind noch ein bisschen „nachwuchsiger“ und die Projektgelder sind nicht so hoch, dass da noch eine aufwendige Dokumentation drin ist. Das andere ist, dass wir auch sehr viele Sachen machen, die keine reinen Bühnenstücke sind, sondern das Publikum involvieren und das viel schwieriger zu dokumentieren ist – und als Videodoku viel unintereressanter
Ist es eine gute Idee, das PAF online in einer verkleinerten Version stattfinden zu lassen?
Als Mitveranstaltende finde ich es super. Diese europäischen Festivals sind immer auch ein Treffpunkt, ein Ort der Auseinandersetzung über das, was man sowohl strukturell als auch inhaltlich tut. Für solche Art von Konferenzen sind Online-Formate fast besser. Natürlich fällt das Informelle weg. Ich habe aber gemerkt, dass gut geleitete Webinare mehr Austausch und Kennenlernen zulassen, weil die Hemmschwelle, mit jemand Unbekannten zu sprechen, geringer ist, als wenn man sich erstmal trauen muss, jemanden anzusprechen. Übrhaupt ist der Austausch zwischen den Theaterhäusern durch den Shutdown intensiver geworden, weil das ja alle betrifft.
Gibt es weitere Vorteile der Online-Version?
Es ist es jetzt viel einfacher, an vielen verschiedenen Dingen teilzunehmen. Beim PAF gibt es immer die Touren von Spielort zu Spielort. An jedem Ort gibt es jemanden, der was zur Spielstätte erzählt, man guckt sich den Raum an, dann ziehen alle weiter. Das machen wir jetzt online und natürlich können sich die Leute den Ort nicht richtig angucken, aber wir können davon erzählen und das Interessante sind ja wirklich die Strukturen: Wie funktionieren diese Orte? Ich freue mich sehr drauf, viel gezielter meinen Input zu geben und dabei zu sein, wenn sich die anderen Spielorte vorstellen. Dazu fehlt normalerweise die Zeit. Und so ist es für uns hinterher auch viel einfacher gemeinsam über die Fragen zu diskutieren, die aufgekommen sind.
Wie spannend wird das Online-PAF für das allgemeine Publikum werden?
Für das Publikum kann ich das noch nicht so sagen. Ich glaube, es ist spannend für alle, die Lust auf Online-Theater haben. Da sind bestimmt welche dabei. Aber es wird nicht das gleiche Gefühl sein wie bei einem Live-Festival, wo man vor Ort ist und sich einem Rausch hingibt. Ich guck mir das auf jeden Fall an!
Anne Brammen ist freie Dramaturgin und Produktionsleiterin. Sie hat Theaterwissenschaft an der FU Berlin und Dramaturgie an der Hochschule für Musik und Theater (HfMT) Hamburg studiert. Jetzt ist sie am Ballhaus Ost Berlin für das Programm und die Pressearbeit zuständig.