„Mein erster Impuls war: Wir sagen das Festival ab“
Aus dem Homeoffice heraus haben Sarah Israel und ihr Team ein komplett neues Festival entwickelt. An das ursprünglich geplante Festival erinnert die Online-Ausgabe PAF@home jetzt nur noch in Details. Aber immerhin: Es findet statt! Ein Gespräch mit der Festivalleiterin über Krisensitzungen, Barrierefreiheit im Netz und warum Streaming nicht die Lösung ist.
von Sara Friese
Heute ist der erste Tag des Performing Arts Festival Berlin. Wie fühlen Sie sich?
Ehrlich gesagt bin ich schon recht angespannt. Die Technik-Fragen sind für alle eine unbekannte Größe. Dadurch, dass man jetzt kein schönes Live-Event hat und gemeinsam zusammenstehen kann, fühlt es sich eher an wie ein normaler Arbeitstag, an dem man um 19 Uhr nochmal den Computer aufklappt. Und ich habe nicht das Gefühl, dass wirklich eine Festivalenergie aufsteigt. Das fehlt. Aber freuen tue ich mich schon auch.
Wie war es für Sie, als es sich abzeichnete, dass das Festival in der ursprünglichen Live-Version nicht stattfinden kann?
Komischerweise gab es kein großes Moment der Trauer, obwohl wir wussten, wie viel Arbeit verloren geht. Man war eingenommen von dieser Situation, in der sich die gesamte Gesellschaft befunden hat. Neben den Konsequenzen, die diese Pandemie für das Privat- und Arbeitsleben hat, versuchten wir strategisch zu überlegen, Was können wir jetzt anbieten? Da blieb kaum Zeit, darüber nachzudenken, was gerade an Energie im Raum verpufft. Wir haben versucht, mit diesen ganzen Informationen umzugehen, die einem zu dieser Zeit noch viel stärker um den Kopf geflogen sind als jetzt. Die Situation hat sich ja ständig verändert.
Was genau musste passieren, damit das Festival online stattfinden kann?
Da gibt es vor allem viele administrative Schritte. Unser Förderer, die Senatsverwaltung für Kultur und Europa, haben dem Festival letztes Jahr eine Vier-Jahres-Förderung ausgesprochen – anhand des alten Konzepts. Um sicher zu sein, dass wir die Gelder auch für eine Online-Version nutzen können, mussten wir einen Antrag stellen. Im nächsten Schritt musste das Projektmanagement alle bestehenden Verträge mit den Spielstätten und den Künstler*innen annullieren, weil wir nicht mehr das mit ihnen durchgeführt haben, was eigentlich geplant war. Gleichzeitig begannen wir Leute zu kontaktieren für neuen Ideen, die wir online durchsetzen wollten und das in Vertragsform zu gießen. Es ist also nochmal ein neues Festival, das da aufgebaut wird.
Wie groß war der Arbeitsaufwand im Nachhinein?
Enorm. Das Projektmanagement-Team hatte mit den ganzen Verträgen immens viel Arbeit. Ich zum Beispiel habe ein Kind und damit nur einen bestimmten Zeitrahmen, in dem ich agieren kann. Eine Kollegin hatte Corona, war also krank. Wir hatten viel weniger Zeit, als wir gebraucht hätten. Der Druck war deutlich zu spüren. Es gibt viele im Team, die einfach durchgearbeitet haben. Ich kann das gar nicht in Stunden bemessen.
Wie lief dabei die Zusammenarbeit mit den Künstler*innen ab?
Wir hatten ein Treffen, um zu hören: Was planen unsere Vertragspartner für ihre Häuser, wie sieht es künstlerisch bei ihnen aus, möchten sie Livestreams machen? Bei diesem Treffen haben wir gemerkt, dass die Leute erstens angeschlagen sind von den Entwicklungen, sowohl emotional als auch in ihrer Tätigkeit. Und zweitens merkte man, wie wahnsinnig anstrengend es ist, jetzt über Alternativen nachzudenken. Als Künstler*in will man seine Arbeit präsentieren. Das Festival ist eine Plattform, die Öffentlichkeit bietet. Zu akzeptieren, dass es in diesem Jahr alles anders laufen wird, ist erstmal schwierig. Und gleich agil und flexibel zu sein, sich was Neues auszudenken, ist auch nicht so einfach, wie man sich das von außen vielleicht vorstellt. Daraus ist die Idee erwachsen, gemeinsam eine Doku-Serie zu produzieren, die für die Künstler*innen keinen großen Aufwand bedeutet.
Gab es Kritik an der Umstrukturierung seitens der Künstler*innen?
Nicht direkt am Performing Arts Festival Berlin. Es stellte sich eher die Frage: Warum wird in Zeiten einer Krise immer noch erwartet, dass man was produziert? Ein*e Künstler*in lebt von der Sichtbarkeit, vom Publikum, von öffentlicher Förderung. Wir müssen uns zeigen, damit wir eine Relevanz bekommen. Gleichzeitig ist diese sogenannte Krise etwas, mit dem man als Mensch unterschiedlich umgehen kann. Künstler*innen, die versuchen mit Beobachtung umzugehen, sie in eine Abstraktion oder ähnliches zu übersetzen, brauchen Zeit. Und die gibt’s nicht, wenn man erwartet, dass ein Festival doch stattfindet. Das ist eine Kritik, die an Institutionen geübt wird, die einfach weiterlaufen. Für Künstler*innen ist diese Situation ja viel schwieriger als für das Festival, das eine längerfristige Förderung hat. Viele Künstler*innen haben das nicht. Sie Leben von der Hand in den Mund.
Gab es einen Moment, in dem Sie dachten, es wäre besser das gesamte Festival abzubrechen?
Ja. Mein erster Impuls war: Wir sagen das Festival einfach ab. Keiner von uns hat je vorher ein Internet-Festival gemacht. Man migriert da in ein Medium, dass man überhaupt nicht kennt. Unsere Produktionsleitung hat sich in den letzten Wochen alle Informationen über Austauschplattformen im Internet angeeignet. Die Technik hat sich um Datensicherheit bei Vimeo und Youtube gekümmert. Und die Formate, die wir entwickeln, sind erstmal klassische Gesprächsformate. Bis auf eines, wo wir mit einer Kuratorin aus dem Digitalbereich zusammenarbeiten. Da merkt man, dass wir mit dem Genre nicht so spielen können, wie wir es in dem Bereich der darstellenden Künste tun.
An wen richtet sich das neue, viel schmalere Programm?
Ich glaube, dieses Festival richtet sich vor allem, egal ob in dieser Form oder einer anderen, erstmal an ein Fachpublikum. An Menschen, die sich für die freien darstellenden Künste prinzipiell interessieren, in diese involviert sind. Natürlich versuchen wir Aufmerksamkeit zu bekommen, auch bei Menschen, die Lust haben, Tanz und Theater zu erleben. Deswegen haben wir auch in diesem Jahr groß und auffällig plakatiert. Es könnte auch ein anderes Publikum den Weg zum PAF finden, wenn es genügend Aufmerksamkeit über das Internet, die Plakate, Facebook und Instagram gibt. Das wird man am Ende des Festivals bewerten können.
Warum werden keine Mittschnitte der ursprünglich geplanten Aufführungen gestreamt?
Wir haben alle Künstler*innen gefragt: Möchtet ihr zu der Perfomance, die ihr bei uns präsentiert hättet, ein Video einreichen? Möchtet ihr einen Live-Stream machen, möchtet ihr eine Adaption dazu machen? Ein Teil der Künstler*innen hat uns Material gesendet, Trailer oder Mitschnitte von Aufführungen, die bereits stattgefunden haben. Alle Mitschnitte werden im „Digital Showroom“ zusammengefasst. Es wird aber auch einen Livestream geben. Aber es ist nicht das Herz des Festivals.
War das eine Entscheidung von der Festivalleitung oder von den Künstler*innen selbst?
Wir hätten als Festival auch sagen können: Wir machen Livestreamings von allen Inszenierungen. Davon bin ich aber kein Fan. Ich bin der Meinung, dass das Livestreaming kein Ersatz für eine Live-Aufführung ist. Und das Theatererlebnis als Live-Stream finde ich somit reduziert interessant. Eigentlich filmen Theater-, Tanz- und Performancemacher*innen ihre Arbeit normalerweise nur zu Dokumentationszwecken, oft mit nur einer Kamera. Man riskiert mit diesem sehr eingeschränkten Erlebnis, dass manche Leute eine falsche Idee davon bekommen, was Theater, Tanz und Perfomance ist, wenn man das als Zentrum ins Festival stellt.
Können Sie sich vorstellen, dass das PAF in Zukunft trotzdem als Alternative online stattfinden könnte?
Ich glaube nicht, dass man das als Alternative denken muss. Aus dieser Zeit geht als positiver Effekt hervor, dass die darstellenden Künste perspektivisch eine andere Auseinandersetzung mit dem Internet suchen. Es entstehen bereits Arbeiten mit der Frage, wie man etwas eigens für das Internet entwickeln kann. Das ist etwas anderes als eine Perfomance für den Theaterraum, die gestreamt wird und im Internet erscheint. Das sind einfach zwei grundlegende andere Ansätze. Da sehe ich Potenzial. Es ist am Ende aber immer eine Frage von Fördermitteln und von technischen Möglichkeiten. Und natürlich von Künstler*innen, die Lust haben, sich dem Netz zu widmen.
Gibt es da schon eine erste Resonanz?
Wir haben für dieses Festival kein Angebot bekommen. Das braucht einfach Zeit. Es gibt zwei Arbeiten beim Festival, die in den nächsten Monaten an den Häusern, an denen sie gelaufen wären, eine online Version anbieten. Die Entwicklung dafür braucht aber länger als drei Wochen. Zumal wir sie auch nicht bezahlen könnten. Sowas neu zu entwickeln ist viel Arbeit und die Frage ist natürlich, welche*r Künstler*in dafür Zeit und Geld hat.
Geht viel des ursprünglich geplanten Festivals verloren?
Das PAF@home ist für mich nicht der Versuch, das ursprünglich geplante Festival ins Netz zu übersetzen, das geht gar nicht. Es ist eine Reaktion auf eine andere Situation. Deswegen war klar, dass wenn das Festival nicht in seiner Gänze durchgeführt werden kann, wie es geplant war, macht es keinen Sinn, es zu übersetzen. Es fehlt mir persönlich sehr viel. Ich liebe Festivals, weil es darum geht, Menschen und Performances live zu sehen und ein Online-Festival ist etwas ganz anderes. Man hat mehr das Gefühl von einem Arbeitstag, als dass wir heute den Start dieses Festivals erleben.
Ergeben sich aus der diesjährigen Online-Version auch Chancen für das Festival?
Ich hasse die Verbindung von Krise und Chance. Aber natürlich wird sich in dieser Gesellschaft etwas verändern. Ob das PAF nächstes Jahr eine Sparte haben wird, die nur Online- oder Digital-Formate macht, steht noch aus – das ist alles möglich, weil es Künstler*innen geben wird, die wahrscheinlich in dieser Kunstform viel stärker zu Hause sind.
Wenn es jetzt losgeht – wo liegen die Herausforderungen für sechs Tage PAF@home?
Wir sind abhängig von der Technik, von Datenströmen, von guten Verbindungen und das jede*r mit der Technik umgehen kann. Wir haben alles dafür getan, dass wir gut dastehen, sind super vorbereitet. Aber ob es reibungslos jeden Tag abläuft? Klopf auf Holz – ich hoffe es!