Offene Fragen
Gemeinsam mit dem Landesverband freie darstellende Künste Berlin e. V. (LAFT), dem HAU Hebbel am Ufer, den Sophiensælen und dem Ballhaus Ost veranstaltet der Theaterdiscounter das Performing Arts Festival Berlin. Ein Gespräch mit Joy Kalu, Dramaturgin an den Sophiensælen, über Onlinepräsenz, politisches Bewusstsein und die Pläne für eine Wiedereröffnung.
von Quinn
Eigentlich würden während des PAF die Sophiensæle und der Hof davor ständig brummen. Was passiert stattdessen im Haus?
Bei uns herrscht zurzeit nur minimaler Betrieb, da wir uns strikt an die Corona-Schutzmaßnahmen halten, etwa die gebotene Einhaltung der Abstände und der Hygienevorschriften sehr ernst nehmen. Im Dramaturgie-Büro arbeiten normalerweise bis zu vier Personen. Zurzeit darf es mit nur einer Person besetzt werden. Unsere ganze Büroetage ist entsprechend spärlich besetzt; wir sind meist im Homeoffice, treffen uns online und kommen nur zu wenigen Besprechungen in kleinen Gruppen live zusammen.
Was hatten Sie denn ursprünglich für das PAF geplant? Inwieweit ließ es sich umsetzen?
Wir hatten zum Beispiel im Rahmen der Nachwuchs-Plattform "Introducing..." die Performance "Boys in Sync" von Jakob Schnack Krog, Jay Fiskerstrand und Simon Zeller geplant und uns sehr darauf gefreut. Zwar konnte es nicht zu der Live-Aufführung kommen. Es wurden aber für das digitale PAF@home Festival von allen "Introducing..."-Künstlerinnen Video-Formate entwickelt, die auf der PAF Homepage abrufbar waren. Um das Kennenlernen und die Begleitung dieser Nachwuchs-Künstlerinnen trotzdem zu gewährleisten, haben wir uns mit ihnen in Zoom-Konferenzen getroffen und auch an dem Feedback-Frühstück in einer Online-Version festgehalten. Andere im PAF geplanten Projekte mussten leider entfallen. Für weitere, wie die "Anstattführung" von hannsjana, einen Audiowalk im Stadtraum, suchen wir nach einem neuen Termin im Herbst. Die im Rahmen vom PAF geplante Wiederaufnahme von „Das weiße Rössl im Central Park“ von Johannes Müller & Philine Rinnert wird nun als Hörspiel-Version vom 19. bis 21. Juni auf unserer Homepage abrufbar sein.
Ist den Sophiensælen die Umstellung von Präsenzbetrieb zur Onlinepräsenz den Umständen entsprechend gut geglückt?
Ja, den Umständen entsprechend gut. Unsere wöchentlichen Sitzungen in und zwischen den verschiedenen Abteilungen haben wir größtenteils auf Zoom verlegt. Auch verfügen wir nun seit einigen Wochen über eine "Corona AG", die sich abteilungsübergreifend mit allen Fragen bezüglich der Wiedereröffnung beschäftigt. Die Programmarbeit, eine der wichtigsten Aufgaben der Dramaturgie, ist gerade leider nur eingeschränkt möglich, da immer noch viele Fragen in Bezug auf den Herbst offen sind. Für inhaltliche Fragen wie die Entwicklung neuer Programmideen, die natürlich trotzdem weiterläuft, treffen wir uns inzwischen live, damit wir uns weniger zielgerichtet austauschen und in einen kreativeren Denkmodus gelangen können, als es uns online bisher möglich ist.
Ist die plötzliche Verschiebung von Theater ins Internet ein Käfig oder eröffnet es neue Chancen?
Für Zuschauer*innen, die weniger mobil sind, bietet die große Bandbreite an Streaming-Formaten sicher eine neue Chance. Es gibt also auch Gruppen, die davon profitieren. Außerdem werden neue Formate jenseits der Dokumentation des Live-Events entwickelt und erprobt, die durchaus spannend sein können. Für mich persönlich sind aber die leibliche Kopräsenz von Performer*innen und Publikum und die damit verbundene Gleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption gerade das, was mich am Theater interessiert. Deshalb bin ich weder beim Film noch in der Literatur gelandet. Für den Beruf als Dramaturgin, Programmkuratorin und Theaterwissenschaftlerin sehe ich mir regelmäßig Aufzeichnungen von Aufführungen an, habe da also eine gewisse Übung. Ich habe nun einige der digitalen Programm-Experimente bei uns und an anderen Häusern verfolgt. Ich muss aber gestehen, dass mich bisher nichts so richtig gepackt hat. Lediglich Gesprächs- und Diskursformate, bei denen die Inszenierung im Hintergrund steht, verfolge ich zurzeit gerne online.
Die Sophiensæle arbeiten intersektionell, haben unter anderem einen Fokus auf inklusives Theater. Wie schätzen Sie die Lage bezüglich des politischen Bewusstseins an staatlichen Theatern momentan ein?
Gerade ist an vielen Theatern eine stärkere Politisierung auszumachen. Zahlreiche Kunst- und Kulturinstitutionen, unter ihnen viele Stadt- und Staatstheater, haben sich der Bewegung Die Vielen angeschlossen, die sich für eine offene Gesellschaft und die Freiheit der Kunst einsetzt und in der auch ich aktiv bin. Viele dieser Häuser positionieren sich vehement gegen das Erstarken rechter und rechtsradikaler Kräfte in unserer Gesellschaft. Feministische und postkoloniale Fragestellungen sowie eine generelle Auseinandersetzung mit Formen der Marginalisierung beschäftigen viele der Theater auf der Ebene ihres Programms, das sie zugänglicher und diverser zu gestalten suchen. Leider geht dieser Anspruch in der Programmarbeit in den seltensten Fällen mit einer Hinterfragung und Änderung der eigenen Strukturen einher. Als positive Beispiele im Staatstheater-Bereich, die umfassender machtkritisch ausgerichtet sind, würde ich zum Beispiel das Schauspiel Hannover unter der Leitung von Sonja Anders und bald voraussichtlich auch das Schauspiel Dortmund unter der Leitung von Julia Wissert nennen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, um diesen "zweiten Schritt" in Gang zu bringen?
Es ist wichtig, die eigenen Strukturen auf Ausschlussmechanismen zu überprüfen und auf gewonnenen Erkenntnissen Taten folgen zu lassen. So müssen die Theater-Ausbildungsstätten und die Theater dringend in der Auswahl ihrer Studierenden sowie ihrer Mitarbeiter*innen die gegenwärtige Gesellschaft abbilden. Die entsprechende Diversität sollte sich dann auf allen Ebenen, auch in den Führungspositionen der Theater spiegeln.
Was sind denn für die Sophiensæle die nächsten, großen Pläne nach der Auflösung des Lockdowns?
Unser Herbst ist tatsächlich noch in der Planungsphase. Eine Idee ist es, im September die Zeit zu nutzen, um einige ausgefallene Produktionen, die uns am Herzen liegen und die sich unter den gegebenen Umständen gut umsetzen lassen, nachzuholen. Dabei wird es vor allem um Produktionen mit kleiner Besetzung gehen. Für Neuproduktionen im Herbst, wie zum Beispiel eine neue Inszenierung von Henrike Iglesias, werden wir im Gespräch mit den Künstlerinnen nach möglichst sicheren Umsetzungen suchen. Für den Oktober haben wir ein internationales Performance-Festival zum Thema "Risk and Resilience" geplant. Leider steht bereits fest, dass wir das Programm reduzieren müssen. Aus welchen Ländern Arbeiten sicher zu uns kommen können und wie wir mit Gastspielen umgehen, die sich auf der Bühne nicht im Sinne der Abstandsregeln umsetzen lassen, ist dabei noch eine offene Frage.