Kunst ist systemrelevant


Der Polymediale Ponyhof versteht sich als ein Treffpunkt der Neuköllner Kunst- und Kulturszene. Diese wundersame Location mit ihrem beeindruckenden Innenhof bietet Künstler*innen eine Bühne, um ihre Arbeiten zu präsentieren. Ich habe Kay Kastner, den Leiter des Ponyhofs getroffen, um mit ihm über Theater in Krisenzeiten zu reden.

von Nanja Gareisen

Kay, ist das Leben ein Polymedialer Ponyhof?

(lacht) Ja, meins schon! Mein Ponyhof ist das, wo du hier gerade bist. Letztlich wohne ich hier, zusammen mit meiner Freundin und unseren Kindern. Das ist mein Wohnhaus.

Und zusätzlich zeigst du hier im Polymedialen Ponyhof auch deine Arbeiten?

Genau. Ich bin Videokünstler und arbeite an vielen unterschiedlichen Projekten, gerne auch im Theater, besonders im Tanztheater. In den letzten zehn Jahren habe ich zehn Produktionen gemacht, die ich hier, aber auch woanders aufgeführt habe. Abgesehen davon finden hier auch regelmäßig Veranstaltungen statt, wie zum Beispiel Konzerte, Kunstperformances oder der Diary Slam, bei dem Leute aus ihren Teenager-Tagebüchern vorlesen. Wir schließen uns auch gerne anderen Festivals an, also 48 Stunden Neukölln, Nacht und Nebel, Performing Arts Festival Berlin oder ähnliches, weil es eigentlich ein privater Raum ist, den man öffentlich nur bedingt nutzen kann.

Jetzt ist ja Krise. Wie sieht denn das Leben auf dem Ponyhof gerade aus?

Es ist ein bisschen ruhiger geworden. Ich habe auch kein Problem, diese ruhige Zeit zu nutzen, um zu renovieren. Außerdem bringe ich Ordnung in die Strukturen und professionalisiere das alles noch ein bisschen, damit ich weiß, was ich habe. Ich verdiene ja jetzt gerade wenig Geld, das ist ein bisschen schwierig. Ich bekomme auch vom Staat nichts. Das ist auch blöd.

Gerade ist es für alle freie Kunstschaffenden schwierig, sich über Wasser zu halten.

Ich bin auch sehr gespannt, welche Auswirkungen der Corona-Lockdown mit sich bringt und was das alles kaputt macht. Vermutlich werden einige Kleinunternehmen dauerhaft schließen müssen.

Ist Kunst genau in solchen Krisenzeiten verzichtbarer Unterhaltungsluxus oder soziale Notwendigkeit?

Beides, würde ich sagen. Insgesamt gibt es deutlich mehr Jobs, die nicht systemrelevant sind. Kunst ist es doch! Unterhaltung zum Beispiel ist ja auch wichtig für das Gemüt, man muss ausgeglichen und fröhlich sein, damit man überhaupt funktionieren kann, auch systemrelevant funktionieren kann. Ich würde jedenfalls auf Kunst nicht so schnell verzichten wollen.

Viele Theater machen die Not zur Tugend und fangen an zu streamen. Was hältst du davon?

Als Konsument finde ich es immer schwierig, Theater auf dem Monitor zu konsumieren. Das funk- tioniert selten gut. Auch wenn das hier der Polymediale Ponyhof ist: Für mich könnte die Welt ein bisschen weniger digital sein. Das ist mir alles ein bisschen zu undurchsichtig; vieles davon klappt zu schlecht, dass ich mich daran gewöhnen will. Ich selbst kann nicht streamen. Ich wüsste auch nicht wie. Verdient man damit irgendwie Geld?

Die Theater bieten die Streaming-Angebote auf den Websites kostenfrei an. Der Rest basiert auf Spenden.

Ja, damit verkauft sich die Kunst irgendwie... sie verramscht sich. Den Weg finde ich gefährlich.

Aber in dieser Krisenzeit ist es die einzige Möglichkeit, etwas zu zeigen.

Sich zu verschenken? Das finde ich nicht gut. Es besteht ja immer die Gefahr, dass der Konsument das beibehalten wird. Der wird sich denken: Hier habe ich doch die ganze Zeit umsonst Theater geschaut, warum soll ich denn jetzt dafür bezahlen? Aber Kunst muss bezahlt werden. Ganz einfach. Das ist ja auch eine Art Dienstleistung, da steckt viel Arbeit drin und, wenn man das umsonst verschleudert, finde ich das schade.

Also sollte Kunst deiner Meinung nach nicht frei zugänglich sein?

Für Kunst sollte man genauso bezahlen wie für andere Sachen auch. Oder es ist alles frei.

Das PAF findet ja auch online statt, zeigt aber bewusst kaum Inszenierungsmitschnitte. Was hätten wir bei Eurem Beitrag „Definitely Maybe“ zu sehen bekommen?

Das Projekt stammt von Jule Förster, Christian Wehmeier und mir. Jule ist Tänzerin, Christian macht Choreografie und kümmert sich um den Text. Unser Thema ist dabei Elternschaft. Wir sind alle drei Eltern, wenn auch unterschiedlich. Ich bin zum Beispiel ein mega glücklicher Vater. Die Unterschiede von Elternschaft haben wir in Interviews festgehalten und nachträglich mit zwei ver- schiedenen Beamern in Szene gesetzt.

Wie genau sieht das aus?

Ich mache Videos und Musik dazu und wir haben eine Projektionsfläche im Hintergrund und eine Projektionsfläche im Vordergrund auf einer transparenten Leinwand. Da kann das Publikum durchschauen. Aber dadurch, dass die Tänzerin in der Mitte von diesen zwei Dimensionen performt, ist eine dritte Dimension geschaffen. Das hat eine sehr starke Raumtiefe und wirkt sehr schön.

Wie lang dauert im Durchschnitt die Vorbereitung auf ein Projekt?

Etwa drei Monate. Vielleicht auch ein bisschen mehr.

Wie seid ihr mit der Info umgegangen, dass das Projekt nun doch nicht stattfinden kann?

Am Anfang fand ich das alles nicht so schlimm. Aber wenn ich jetzt über den Sommer nachdenke, dass da alle Highlights ausfallen und mein ganzes Schaffen brach liegt, ist das schon ein bisschen frustrierend. Wir haben auch überlegt, wie wir damit umgehen sollen, ob wir dann vielleicht doch auf den Stream zurückgreifen. Aber das ist einfach nicht unser Ding und daher sammeln wir jetzt einfach Ideen, bis wir wieder live Sachen zeigen können.

Generell ist es für Theater schwierig die Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln einzuhalten. Auch hier im Ponyhof. Hast du eine vage Vorstellung, wie in unserer neuen Normalität wieder Live-Theater stattfinden kann?

Nein, das will ich auch gar nicht. Wüsste ich auch nicht wie. Wir haben mit vielen Problemen zu kämpfen. Wenn wir hier zum Beispiel Partys veranstalten, ist es mit der Lautstärke ein Problem. Da machen wir jetzt Kopfhörer-Partys. Aber, wenn du nun auch noch einen Mundschutz tragen musst ...

Naja, der Mundschutz wäre nicht wirklich das Problem. Sondern all die anderen Dinge, die noch dazugehören. Da wüsste ich einfach nicht, wie das hier gehen soll. Ich muss nicht so schnell wieder was machen. Natürlich ist das schade. Gerade den Diary Slam würde ich gerne wieder machen.

Die Diary Slams hast Du schon mehrmals erwähnt. Tagebücher sind ja eines der pursten und ehrlichsten Ventile. Was würde man in dieser Krisenzeit aus deinem Tagebuch erfahren?

(lacht) Bezüglich der Krise, ja? Und das soll ich dir jetzt erzählen? Tagebuch ist ja eigentlich dafür da, dass man es nicht jedem erzählt. Außerdem formuliere ich meine innersten Gedanken nicht mehr in einem Tagebuch, halte eher stichwortartig Aktivitäten im Kalender fest. Aber ich will es mal probieren: Meine Mutter hat überlegt von Essen nach Wangen zu meiner Schwester zu ziehen. Das beschäftigt mich, weil dann meine Homebase in Essen wegfallen würde. Aber ich glaube, dass ist nicht das was du hören willst, richtig?

Ach du, ich will gar nichts Bestimmtes hören. Ich bin nur neugierig. 


Ich würde sicherlich zu dieser extrem beeindruckenden und komplett neuen Liebe zu meinen Kindern berichten und darüber die Tagebücher füllen. Zum Thema Krise: Ich vermisse echt das soziale Leben. Meine Familie gibt mir viel Halt. Aber trotzdem braucht man Freunde. Die kommen gerade zu kurz. Partys und Clubs, sowas vermisse ich sehr. Generell das ganze Miteinander. Ich brauche zwar nicht viel zum Leben. Ich bin da sehr asketisch. Aber ich hoffe trotzdem, dass alles wieder in die Gänge kommt. Meine Kunst mache ich auf jeden Fall weiter. Das kann man ja immer und überall und zu jeder Zeit machen, zumindest produzieren, auch wenn man dann kein Publikum dafür hat. Natürlich schade. Aber die Sachen sind dann ja da – und irgendwann kommt auch das Publikum wieder!

 

 

Der Polymediale Ponyhof versteht sich als ein Treffpunkt der Neuköllner Kunst- und Kulturszene. In dieser wundersamen Location mit ihrem beeindruckenden Innenhof werden Tagebuchlesungen veranstaltet oder Bücher vorgestellt. Musiker*innen proben hier, um ihre Ergebnisse einem kleinen Publikum vorzutragen. Es gibt Performance-Abende, Theaterstücke werden entwickelt und aufgeführt. Der Polymediale Ponyhof bietet Künstler*innen eine Bühne, um ihre Bilder, Fotos oder Sound-/Videoinstallationen zu präsentieren. Gelegentlich finden (Kopfhörer-)Partys, Flohmärkte oder Tischtennisturniere statt.