„Natürlich ist der Mensch auch ein Tier“


Jasper Tibbe, Mitglied der Thermoboy FK, über „Karneval der Tiere“, Männerbilder und Kinderspiele

von Artem Zarudnyi

Jasper, was ist ein Freund?

Ich habe verschiedene Vorstellungen davon, was ein Freund ist. Lange waren es für mich die Leute, die ich oft sehe und mit denen ich mich entspannt treffen kann. Mit denen man über alles sprechen kann und alles sagen darf, ohne groß nachzudenken. Mittlerweile ist mir aber wichtiger, mit meinen Freunden oder Freundinnen über tiefere Dinge zu reden. So wie mit Thermoboy FK, das kannte ich anfangs nicht so. Es ist eine schöne Gruppe mit schöner Dynamik.

Eure „Jungs-Trilogie“ ist teils autobiographisch grundiert und dreht sich um Konzepte von Beziehungen, Freundschaften, das sogenannte Wir-Gefühl. Habt ihr während der Arbeit auch etwas über Freundschaft gelernt?

Bestimmt! Gerade bei den ersten Projekten ging es uns eigentlich gar nicht darum, wer wir sind oder was wir eigentlich machen, sondern darum, was möglich wäre. Wie könnte unsere gemeinsame Zukunft aussehen? Zum Beispiel: „Argelès-sur-Mer“, der Titel der ersten Performance, ist ein Ort in Südfrankreich, wo die Jungs mal irgendwann gedacht haben, zusammen in ein Haus zu ziehen. Und dann gibts „La Casa“, wo wir ein Haus auf der Bühne bauen und fragen, wie wir eigentlich zusammen leben könnten. Ich weiß nicht, ob wir dabei was gelernt haben. Aber wir haben uns unsere gemeinsame Zukunft vorgestellt und das ist natürlich eine spannende Frage, wie wir da zusammen leben wollen. Aber das verändert sich natürlich laufend.

Wie habt ihr einander kennengelernt?

Acht von uns kommen aus Braunschweig. Wir kennen uns seit der Kindheit und Jugend, waren eine große Clique. Darum ging’s anfangs stark bei Thermoboy FK: Es gibt diese Gruppe, die es eigentlich schon seit immer gibt, die sich genauso inszeniert wie im Alltag und die Geschichten erfindet. Diese Clique ist fließend, sie verändert sich die ganze Zeit, Leute kommen und gehen. Wer weiß, wie viel wir noch miteinander zu tun hätten, wenn wir jetzt nich zusammen Theater machen würden.

Wofür steht der Name Thermoboy FK?

Männer und Jungs zu sein war schon immer ein großes Thema. Was augenscheinlich ist, weil auf der Bühne nicht nur, aber fast nur Männer stehen. Dazu kommen noch Dinge wie ewige Jugendfreundschaft. Wir sind wie ein Versuch, diese Jugendfreundschaft zu bewahren im positiven Sinne. Vielleicht wollen wir nicht richtig erwachsen werden.

Ist Euer Männerbild kritisch?

Natürlich. Am Anfang war das noch nicht so unser Fokus. Aber seit dem ersten Projekt haben Leute gesagt, dass wir viel über Männlichkeit erzählen. Allmählich haben wir begriffen, dass es einerseits wichtig und anderseits spannend für uns ist, über das Thema Männlichkeit nachzudenken. Man merkt schon oft, wie sehr wir als typische Männer sozialisiert sind und manche Dinge gut können, wie zum Beispiel Häuser bauen und manche Dinge nicht so gut können, wie zum Beispiel über unsere Gefühle reden.

Oder tanzen wie in „Karneval der Tiere“?

In „Karneval der Tiere“ gibt es schon einen bewussten Umgang mit Männerbildern, aber das bleibt im Stück relativ offen. Viele sehen das nicht, andere hingegen vor allem, wie Männerbilder oder Männerkörper inszeniert werden. Da probieren wir aber auch besonders die Gegenbilder zu schaffen, also als Männer auf der Bühne eher so zärtliche, erotische, nicht typisch männliche Bewegungen oder Figuren zu machen. Nächstes Jahr wollen wir ein Stück machen, wo es um die Gefühle und Verletzlichkeit von Männern geht. Wir denken die ganze Zeit darüber nach, wie wir unsere Schwäche nutzen und uns irgendwie herausfordern können.

Wie kamt Ihr eigentlich auf die Idee, die Orchestersuite von Camille Saint-Saens als Grundlage für eine Performance zu nehmen?

Felix Scheer hatte die Idee. Ich denke, das war der Wunsch, über unseren Alltag hinauszugehen und uns vorzustellen, wie es wäre, wenn wir uns einfach mal anders bewegen, wie Tiere zum Beispiel. Und dann der Karneval selbst. Das ist vielleicht das Thema – die Möglichkeit, anders zu sein, sowohl als Tier als auch im Tanz. Außerdem verweist der Abend auf unsere Realität zurück, also auf Männerkörper und den Abgleich dazwischen.

Wenn es auf unsere Realität verweist: Sind Menschen und Tiere vergleichbar?

Natürlich ist der Mensch auch ein Tier. Es ist interessant, den Blick zu wechseln, um zu zeigen, dass die menschliche Perspektive eben nur eine Perspektive ist. Es gibt schon seit vielen Jahren posthumanistische Diskurse, in denen versucht wird, die Perspektive auf Pflanzen zu lenken, auf Tiere oder auf das, was auf die Erde war, bevor es Menschen gab. Da steckt auch die Frage drin über unsere Verhältnis zu Tieren, ob wir Tiere essen, wie wir mit unserer Umwelt umgehen. Das sind vielleicht die Sachen, die in dem Stück nicht so vorkommen, aber es ist trotzdem eine Möglichkeit, darüber nachzudenken.

Es gibt eine Szene, in der die Tiere miteinander kämpfen. Warum?

Was wir da geschrieben haben, ist eigentlich eine Fabel. Das, was die Tiere in den Fabeln machen, ist immer nur die Perspektive des Menschen. Sie sind immer schlecht verschleierte Metaphern für menschliche Eigenschaften, die manchmal gar nicht funktionieren, weil sie keine Logik haben, absurd sind. 

Der Stil von „Karneval der Tiere“, aber auch anderer Performances von Euch wirkt auf mich wie eine Mischung aus „Adventure Time“ und „Twin Peaks“: Sie sind komisch, aber gleichzeitig rätselhaft oder sogar mysteriös. Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr viel Spaß im kreativen Prozess habt. Gab es bei der Vorbereitung oder bei den Performances selbst komische, kuriose Momente?

Einfach nur Tiere zu spielen fand ich schon immer lustig. Das ist ja eigentlich so ein Kinderding. Das gehört aber zu Thermoboy FK, dass wir die Sachen machen, die Kinder und Jugendliche ziemlich gut finden, vermutlich, weil wir sie selbst gut finden. Aus der Vorbereitung fällt mir jetzt kein bestimmter Moment ein. Toll war, als wir die Kostüme ausprobiert haben und probten, wie die Tiere miteinander in Begegnung kommen. Das war manchmal so toll, dass wir es später gar nicht so reproduzieren konnten.

Und während Aufführungen?

Einmal haben wir vor Schulklassen gespielt und es war geil, wie die Kinder darauf reagierten. Mich als Löwe hat es wirklich beeindruckt, wie sie vor mir Angst hatten, nur weil ich bisschen auf sie zukomme. Und dann die ganze Zeit kommentieren: „Oh Gott, er kommt auf mich zu, er kommt auf mich zu!“

Und wenn das Publikum nicht erschrickt, sondern lacht und applaudiert?

Das ist ein sehr schönes Moment, über das ich ehrlich gesagt nicht so viel nachdenke. Ich fühle mich dann immer sehr wach und energievoll – und freue mich, dass ich es geschafft habe.