Energie ist elektrisch


ELEKTRO KAGURA ist ein Kollektiv, das die japanische Mythologie mit modernen Kunstformen in aktuelle gesellschaftliche Kontexte einbettet. Ein Interview mit Yukihiro Ikutani (Szenografie), Ichi Go (Tanz) und AXL OTL (Musik) über ihre Arbeit und ihrem Alltag in Zeiten von Covid-19 und wie es ihnen gelingt, ein so traditionelles Thema an das Berliner Publikum zu bringen.

von Joelle Witulski

Wie geht es Ihnen in Anbetracht der jetzigen Situation?

Yukihiro: Ich bin momentan in meinem Studio in Berlin und kann sehr produktiv an meiner Kunst arbeiten.

AXL OTL: Ich habe hier zuhause alles,was ich brauche, allerdings habe ich auch ein Kind und das macht das Ganze ein wenig komplizierter. Leider ist auch das Internet nicht so gut, also kann ich nicht synchron mit anderen Musiker*innen arbeiten.

Ichi: Ich probe bereits für unser nächstes Projekt „GOO Stream“, das im April ansteht.

ELEKTRO KAGURA besteht aus Menschen verschiedener Kulturen. Sehen Sie da Unterschiede in der Krisenbewältigung?

AXL OTL: Man sieht ja in Asien, dass es für die Menschen normal ist, Masken zu tragen. Dementsprechend haben sie die Situation besser im Griff. Hier sehen einige Leute das als Eingriff in ihre Freiheit. Wir müssen uns da erst noch dran gewöhnen. Ich denke, in Frankreich ist es ähnlich wie in Deutschland.

Ichi: In Asien sind die Menschen mehr an Krisen gewöhnt, Erdbeben, Taifune. Daraus lernen die Menschen natürlich. Und ich denke, wir werden auch aus dieser Situation lernen.

In Ihren Performances betten Sie die japanische Mythologie in aktuelle gesellschaftliche Kontexte ein. In Mitteleuropa sind wir eher wenig mit der Thematik vertraut. Wie schaffen Sie da den Zugang?

Ichi: In erster Linie bin ich Tänzerin, aber ich bin auch Lehrerin. Da versuche ich, erst einmal alles herunterzubrechen und zu erklären: Was ist Kagura? Was ist Mythologie?

AXL OTL: Ich trete zu Beginn auch als Geschichtenerzähler auf. Ich erzähle den absoluten Beginn der Geschichte, die wir behandeln. Mit Yukis Mangas zeigen wir dem Publikum den Kontext der Geschichte auf. Später wird es dann abstrakter. Wir benutzen Tanz, elektronische Musik, Yuki malt sein Bild nicht mit Farben, sondern über ein Programm. Die Energie ist elektrisch, alles ist elektrisch. Das macht es der heutigen Gesellschaft zugänglicher.

Yuki: Unsere Kunst ist stark von Subkulturen beeinflusst, ich denke, das gefällt den Menschen hier in Berlin.

Welche Aspekte der Popkultur sind die größten Einfüsse für Sie, gerade hier in Berlin?

Ichi: Die Clubszene ist eine Inspiration. Die Atmosphäre sowie Ereignisse wie Schließungen. Aber auch moderne Literatur ist ein Einfluss für uns.

In Ihren Performances nutzen Sie verschiedene Medien. Wie koordinieren Sie die im Entstehungsprozess?

Ichi: Das kommt immer darauf an. Einer von uns fängt an und wir anderen reagieren darauf. Es ist wichtig, geduldig zu sein, sonst wird es einfach eine große Unordnung.

AXL OTL: Der Prozess ist tatsächlich lang.

Yuki: Uns ist wichtig, dass alles harmonisch abläuft. Wir sind sehr ehrlich zueinander und motiviert.

AXL OTL: Es ist schwieriger, weil wir keine Regie haben. Wir diskutieren oft über Ideen und müssen eine Lösung finden. Das ist nicht immer so einfach.

Wie spiegelt sich das traditionelle Grundthema in der Musik wieder?

AXL OTL: Wir versuchen uns von der Form zu entfernen und mehr auf die Bedeutung einzugehen. Ich schaue also eher auf die Konzepte. Zu Beginn der Performance, wenn ich den Kontext wiedergebe, spiele ich aber auf der Gitarre japanische Melodien, die ich mit anderen Einflüssen mische. Ich benutze was ich brauche und ändere es ab. Das ist auch etwas sehr schönes an der japanischen Kultur: Cultural Appropriation ist oft ein Thema in den Medien, aber diese Kultur hat kein Problem damit, Einflüsse aus ihr zu ziehen und sie abzuwandeln.

Und im Tanz?

Ichi: Ich habe mit modernem Ballett und zeitgenössischem Tanz angefangen und nutze jetzt Einflüsse aus dem traditionellen japanischen Tanz Kagura. Meine Heimatstadt ist sehr traditionell und ich bin mit dem Kagura aufgewachsen. Ich habe diesen Tanz nie wirklich gelernt, aber ziehe daraus meine Inspiration.

Die aktuelle Situation stellt die Theaterszene vor einige Fragen, auch das Streaming wird regelmäßig diskutiert. Für wie wichtig halten Sie die direkte Anwesenheit des Publikums speziell bei Ihren Inszenierungen?

Ichi: Es kommt darauf an, was deine Idee hinter der Performance ist. Wir sagen: Energie ist elektrisch und arbeiten sowieso viel mit Medien. Wenn wir mit Leidenschaft dabei sind, werden es die Zuschauer*innen auch fühlen.

Yuki: Durch die Medien schafft man eine neue Beziehung zwischen Künstler*in, Kunstwerk und Publikum. Das Streaming kann ein neuer Ausdruck sein. Wir haben da einige Ideen für ein neues Stück. Ich wünsche mir, dass sich die Leute unsere Stücke anschauen, wenn sie sie spannend und aufregend finden, egal ob es online stattfindet oder nicht.

Ichi: Wir wollen den Menschen etwas anbieten. Wir sind sehr offen dafür.