Was sich ändern kann, ist die Kunst


Wenn aus „Introducing...“ die „Anleitungen für die Daheimgebliebenen“ werden: Positionen von Wenzel U. Vöcks & Federico Schwindt, BAMBI BAMBULE, Simon Zeller, Jakob Krog & Jay Fiskerstrand, Gloria Höckner & Team, Tobias Malcharzik und Pauline Jacob

von Iven Fenker

Das Performing Arts Festival Berlin präsentiert ausgewählte Nachwuchsproduktionen der freien darstellenden Szene auf der Plattform: Introducing… – die Zukunft, jedenfalls der Kunst, könnte man sagen. Alles strebt doch zur Zukunft. Wie man dabei mit der Gegenwart umgehen kann, zeigen die Eingeladenen in den „Anleitungen für die Daheimgebliebenen“, die in Reaktion auf die Verschiebung des Festivals ins Digitale entstanden sind. Die Eingeladenen, das sind Wenzel U. Vöcks & Federico Schwindt, BAMBI BAMBULE, Simon Zeller, Jakob Krog & Jay Fiskerstrand, Gloria Höckner & Team, Tobias Malcharzik und Pauline Jacob. Ihre Videos können als Tutorials verstanden werden. Sie präsentieren mögliche Umgangsformen mit dem Jetzt, in dem wir uns gerade meist daheim befinden.

Wenzel U. Vöcks & Federico Schwindt, die ihre Performance „On the first night we looked at maps“ zeigen wollten, übersetzen diese in einen Brief. Sie adaptieren den Moment ihrer Performance, der Gemeinschaft erzeugen sollte und verpacken ihn: Mate Tee. Mit Anleitung zum Trinken daheim. Die Briefe werden verschickt, sind aber auch digitalisiert, also für alle zugänglich. Auf Beipackzetteln gibt die transferierte Performance Anweisungen, um Migrationsbewegungen nachzuvollziehen. Das funktioniert gut, weil die Übertragung klug gedacht ist und die Spielanleitung den Rahmen gibt zur Reflexion über ein Phänomen, mit dem auch während der Pandemie umgegangen werden muss. Gleichzeitig versenden die Beiden Verbundenheit, Solidarität. Ihre politische, soziale Transferleistung besteht künstlerisch, weil sich souverän eine Form bildet, die aus einer Not profitiert.

BAMBI BAMBULE hingegen schlagen ein Spiel vor, Wer bin ich?, mit weiblichen Figuren der dramatischen Literatur. Gezeigt hätten sie „Penthesilea – Love is To Die“. Da liegt das Anliegen auf der Hand beziehungsweise auf den Tischen, außerhalb des Sichtfeldes der Webcam. Das Video ist das Spiel, als Vorschlag. Wer richtig rät, spielt weiter. Das ist wichtig und im besten Falle macht es Spaß.

Simon Zeller, Jakob Krog & Jay Fiskerstrand haben ein Video produziert, was den eigenen Produktionsprozess offenlegt und die Rezeption doppelt. Zu sehen ist ein Computerbildschirm, der Stücke des Stücks „Boys in Sync“ zeigt, das immer wieder in den Hintergrund rückt. Die Produktionsbedingungen werden gespiegelt in den sich öffnenden Bildschirmfenstern. Videocalls ploppen auf, in denen Erinnerungen geteilt werden. Das ist nostalgisch. Es wird gespielt. Das bereitet Vergnügen. Es wird zusammen gelebt, auf Distanz. Die fragile Synchronisation der drei entwickelt sich zur Kakophonie, zum Kanon. Und dann singen sie, zusammen, auch in einem Video – melancholisch und doch hoffnungsvoll, froh. Das ist eine erweiterte Ästhetik einer Gegenwart, der Verhandlung darüber. Einer Kunst, die auf die Bühne will, deren Bühnenräume aber verschlossen sind. Hier werden Fenster geöffnet in eine mögliche Zukunft. Komplexer wird sie werden. Diese Übertragung gibt Anlass darüber, mit Freude nachzudenken.

Gloria Höckner & Team setzen bei diesem Prozess auf ein Medium, das leichter übertragbar ist: Musik. Ihr Video ist eine Anleitung dazu, sich mit der Komposition von Geräuschaufnahmen eines Kraftwerks auseinanderzusetzen. Die Performance, die eigentlich „Futurecore 2000 – All Beats Are Beautiful“ sein sollte, wird zur Soundperformance. Die Einladung dazu ist schön, auch wenn das Zuschauen von Publikum, das einer Performance zuschaut, einen doch zurücksehnen lässt in Zeiten, in denen diese Formulierung einfacher und ohne Doppelung dahergekommen wäre.

Auch Tobias Malcharzik blickt in die Vergangenheit. Ihm dabei zuzuschauen ist eine schöne Erinnerung an die Intensität einer Erzählung auf der Bühne. Eine Person, die eine Geschichte erzählt. Wenn die Erzählung stark ist, überträgt sich das. Hier gelingt es, in der Rekonstruktion einer Kindheitserinnerung, die Erzählung einer queeren Kindheit. Das Theater fühlt sich ähnlich fern an. Aber es wirkt noch. Sich dessen zu vergewissern ist stärkend. Die Übertragung ins Digitale gelingt in der puristischen Anlage des Videos, die die weitere Übertragung ins Digitale eigentlich erübrigt. Die zweite Metaebene, die das Video beendet, zerstört die Reminiszenz des Anfangs nicht. „Comeback“ hätte die Performance geheißen. Das Theater wird wiederkommen.

Pauline Jacob hätte „Prächtiger Vogel Leierschwanz“ gezeigt. In ihrem Video reflektiert sie Aufmerksamkeitsökonomien. Die Anleitung ist die Aufzeichnung einer Soundperformance. Die Bezüge, die auditiven Quellen für den Sound, die in ihrer Referenzialität, aus dem Politischem, dem Sozialen, der Kunst, der Diskurse, an Fahrt gewinnen, schneller werden, lauter, leiser, zugleich diese Kategorien – lauter, leiser – hinterfragen, verdeutlichen, dass das alles, dort draußen – auch wenn das Draußen hier nur das ist, was aus den Kopfhörern in den Gehörgang hineinkommt – weiter interagiert. Das nachzuhören ist kein Nachholen, sondern weitermachen.

Das ist, wozu Kunst, darstellende Kunst, Performances, Theater im besten Falle in der Lage sind: aus unterschiedlichen Perspektiven kreativ reagieren auf Bedingungen, die vorerst nicht zu ändern sind. Was sich aber schneller ändern, was sich anpassen kann, ist die Kunst. Hier ist zu sehen: Es ging. Es geht. Es wird gehen.