Wie ein Auto auf holpriger Straße


Das 2012 gegründete Künstler-Duo ONCE WE WERE ISLANDS – Chris Gylee und R Aslan – nähert sich künstlerisch der Geschichte queerer Gemeinschaften und ihrer Rolle in unserer Gesellschaft an. Dieses Jahr hätten sie mit ihrer jüngsten Performance "Dogs of Love" am Performing Arts Festival Berlin teilgenommen. Ein Gespräch über das Geschehen hinter den Kulissen, Inspiration und Kritik.

von Paula Heckmann

Chris, Aslan, wie geht es euch in der aktuellen Situation?

Aslan: Es ist schon sehr seltsam. Wir kommen beide aus Großbritannien. Dort ist die Situation deutlich schlimmer als hier in Deutschland. Hier kommt einem der Virus weit entfernt vor, wie etwas sehr Abstraktes. Für uns ist das anders. Wir haben viele Freunde, die krank gewesen sind, die Familienmitglieder verloren haben. Wir sprechen jeden Tag mit unseren Familien und Freunden drüben in England. Ich habe auch mit Freunden aus Spanien und Italien gesprochen und es macht mich dann besonders wütend, wenn die Leute in Deutschland ihren Mallorca- Urlaub planen oder unbedingt ins Berghain wollen.

Chris: Eigentlich hätten wir diese Woche auf dem Festival spielen sollten und nächste Woche auf einem anderen. Das hinterlässt eine gewisse Leere. Wir haben natürlich auch mit der Isolation und unseren Ängsten zu kämpfen, dass wir nicht schlafen und uns um unsere Freunde und Verwandte Sorgen machen.

Wie seid ihr beide hier in Berlin gelandet?

Chris: Wir sind seit elf Jahren ein Paar und haben vorher lange in Bristol gelebt. Bristol ist eine schöne Stadt, recht klein, mit einer relativ großen Performance-Szene. Dann aber änderte sich die politische Situation, ich verlor immer häufiger meine Jobs und wir wollten gern woanders leben.

Aslan: Wir waren beide schon ein paar mal in Berlin. 2014 bemerkten wir dann die stetige Gentrifizierung in England – wir konnten die Miete nicht mehr bezahlen. Dann sind wir für drei oder vier Monate nach Berlin gekommen als eine Art Test. Wir sind dann wieder zurück nach England und dann noch mal für sechs Monate nach Berlin. Daraus sind inzwischen sechs Jahre geworden und wir finden Berlin immer noch cool.

Woher nehmt ihr eure Inspiration?

Aslan: Auf der einen Seite sind da Vögel und Bäume, das Meer. Natur. Bezogen auf unsere Arbeit ist es besonders Politik. Vor vielen Jahren haben wir uns entschieden, die Geschichte queerer Menschen in den Fokus unserer Arbeit zu stellen. Wir arbeiten unsere Geschichte auf und stellen viele Fragen: Warum sind die Dinge so und nicht so, wo gehören wir hin und was können wir vielleicht verändern, damit die Welt ein bisschen schöner wird?

Chris: Wir kommen oft an den Punkt uns zu fragen: Warum machen wir das alles? Wir verdienen kaum Geld damit. Es geht eher darum, einen Raum zu schaffen, an dem sich die Menschen anders fühlen können, eine Art Maschine zu kreieren, die es uns erlaubt, neue Gedanken zu denken. Vielleicht erlaubt sie auch dem Publikum, anders zu denken.

Aslan: Wir sollten uns immer wieder daran erinnern, dass wir auch nur kleine Tiere sind in einer großen Welt und dabei im Auge zu behalten, wie wir trotzdem einen Wandel beziehungsweise eine Aufmerksamkeit für gewisse Dinge erzielen können.

Ihr seht eure Aufgabe also darin Anregungen und Denkanstöße zu geben?

Aslan: Ich glaube meine Aufgabe ist es zu denken. Bei unseren Arbeiten geht es darum offen und flexibel zu bleiben und eben immer wieder Fragen zu stellen.

Chris: Die Fragen, die wir stellen, sind einfach. Aber die Antworten sind kompliziert. Wir wollen niemandem unsere Antworten auf die Frage aufdrängen, sondern eher deutlich machen, wie wir die Frage betrachten. Dafür nutzen wir unsere Vorstellungskraft und machen es zu einem gemeinsamen Prozess mit dem Publikum.

Wie kann man sich euren Arbeitsprozess vorstellen? Entwickelt ihr erst ein fertiges Konzept oder ergibt sich da auch viel als fließender Prozess während der Proben?

Chris: Die Realität von Künstler*innen sieht normalerweise so aus, dass sie zuerst eine Finanzierung brauchen. Dafür braucht man ein Konzept. Aber das passt bei uns auch gut zu der Art, wie wir unsere Stücke erarbeiten. Am Anfang ist da erst mal eine Idee. Bei “Dogs of Love” sind wir oft zusammen joggen gewesen. Dabei haben wir über alles Mögliche geredet und so ist die Idee entstanden.

Aslan: Dann beginnt die eigentliche Arbeit. Wir investieren viel Zeit in die Recherche. Für “Dogs of Love” verbrachten wir viele Stunden im Schwulen Museum Berlin und informierten uns über queere Geschichte. Wir nehmen uns Zeit, um eine Idee richtig auszufeilen und uns klarzumachen, wohin wir damit wollen. Da treffen wir die Entscheidungen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem das Ganze ein sehr physischer Prozess wird, wir das Stück in unsere Körper aufnehmen, es verinnerlichen.

Wie lange braucht ihr von der Idee bis zur fertigen Performance?

Chris: Von der Idee beim Joggen bis zu den ersten geschriebenen Sätzen vergingen bestimmt sechs Monate. Es kommt darauf an, wie intensiv die Recherche ist. Letztes Jahr haben wir nur zwei Shows produziert und das war viel für uns.

Aslan: Es ist aber auch wichtig sich nicht zu überfordern. Das Ganze soll ja keine Qual sein. Uns ist sehr wichtig, unsere eigenen Bedürfnisse im Auge zu behalten. Unsere Arbeit ist emotional sehr intensiv, wir stellen viele schwierige Fragen. Da ist so eine Balance absolut notwendig.

Chris, du hast vor allem als Bühnen- und Kostümbildner gearbeitet und du, Aslan, hauptsächlich als Autor und Performer. Habt ihr eine klare Aufgabenverteilung?

Aslan: Nein, nicht wirklich. Alle wichtigen Entscheidungen treffen wir gemeinsam, auch in Sachen Bühne oder Kostüme. Auch bei ‚Dogs of Love‘ zum Beispiel kann ich mich nicht mehr daran erinnern wer welche Teile vom Text geschrieben hat oder was wir zusammen geschrieben haben.

Ihr seid schon lange ein Paar. Ist das manchmal ein Problem für eure künstlerische Arbeit?

Chris: Überhaupt nicht. Im Gegenteil, es ist ein Genuss. Natürlich erfordert es Disziplin. Wenn man auf der Arbeit einen Konflikt hat, kann man nach Hause gehen und Abstand davon nehmen. Das können wir nicht. Deshalb müssen wir besonnen reagieren und uns aufeinander einstellen, Rücksicht nehmen, das Tempo drosseln. Wenn wir für eine Produktion zwei Wochen länger brauchen, ist das okay. Wenn wir einander nicht mehr ausstehen könnten, wäre das ein Problem.

Aslan: Chris denkt manchmal Sachen, an die ich so nie gedacht hätte. Das ist ein großer Vorteil, weil wir uns ergänzen und gegenseitig inspirieren. Klar ist es manchmal auch frustrierend, dann muss man halt einen Gang runterfahren. Am besten macht man dann einfach eine Pause und isst was.

Ihr bekommt viel positive Rückmeldung. Gibt es auch mal negative Publikumsreaktionen?

Aslan: Meistens kommen die Leute zu dir, wenn sie etwas lieben oder das Stück berührend finden. Das ist natürlich schön zu hören und pusht das Ego. Trotzdem ist das nicht das, was wir erreichen wollen. Es hat mehr Wert, wenn unsere Performance zum Denken anregt, selbst wenn sie verärgert oder jemand nicht unserer Meinung ist. Erst dann kann man in einen Diskurs treten.

Chris: Jeder erlebt eine Performance individuell unterschiedlich. Und unser Stück ist durchaus anspruchsvoll, hat sehr viel Text. Als Zuschauer*in muss man aufmerksam sein, sich wirklich darauf einlassen. Dazu kommt, dass wir auf Englisch performen. Muttersprachler verstehen, dass sie es nicht verstehen. Die anderen zweifeln vielleicht an sich und denken, sie hätten Dinge begreifen müssen und die Sprache wäre das Hindernis.

Wie geht ihr mit dieser Kritik an Eurer Arbeit um?

Chris: Wir wollen mit Überforderung arbeiten. Man muss nicht immer alles genau verstehen. Manchmal kommen Leute zu uns und sagen, dies und das wäre zu kompliziert, ob man das nicht anders machen könnte. Das würde sich aber nicht ehrlich anfühlen.

Aslan: Wir fügen nichts hinzu oder lassen etwas weg, um unsere Performance angenehmer zu gestalten. Man kann sich das ein bisschen vorstellen wie ein Auto, das eine holprige Straße runterrollt. Man fühlt sich vielleicht seekrank, zugleich wollen wir sicherstellen, dass es das Auto auch die Straße runter schafft. Es geht darum, diese Balance zu finden zwischen den Dingen, so dass sich die Spannungen aufheben.

In “Dogs of Love” verwendet ihr die Metapher von einem Rad mit Speichen durch das man nur hindurchsehen kann, solange das Rad still steht. Kommt es in Bewegung, wird das Durchsehen unmöglich. Fühlt ihr euch auch manchmal so, als würdet ihr vor diesem sich drehenden Rad stehen?

Aslan: Ganz oft. Wir leben in einer lauten Welt mit viel Durcheinander, da bleibt es nicht aus, dass man auch mal den Überblick verliert. Viele Probleme kann man dadurch lösen, dass man langsamer wird. So schafft man es oft wieder durch das Rad hindurch zu sehen.

Chris: Es hilft, sich die Dimensionen bewusst zu machen. Was für uns heute eine große Sache ist, ist morgen nur noch ein kleiner Teil unserer Geschichte. Etwas, das jetzt von großer Bedeutung für uns ist, wird in ein paar Jahren ein Abschnitt in unseren Geschichtsbüchern sein oder zehn Sätze bei Wikipedia. Und dann stellt sich die Frage, was wirklich noch etwas bedeutet.